Im Tagesspiegel nähert sich Kai Müller heute in einem Essay dem extremistischen Potenzial junger Männer zwischen Jumpsuit und IS-Kämpfer (http://goo.gl/XcAjzs) und findet „junge Männer ‚auf der Suche nach Bedeutung’ (…) Sie befänden sich in einer Phase des Übergangs zwischen Schule und Job, in der sie scheitern. Ihren Familien haben sie den Rücken gekehrt, und so suchen sie nach einer verlässlichen Bindung. Dschihad-Gruppen investieren hunderte von Stunden in einen einzigen Kandidaten.“
6 Jahre vorher sagt Gerald Hüther in einem Interview, „dass Jungs im Durchschnitt mehr Halt im Außen brauchen. Sie orientieren sich stärker im Raum und suchen nach etwas, das ihnen Bedeutsamkeit verschafft. (…) Sie suchen nur mit mehr Vehemenz nach Halt und Bedeutung in dieser Welt. Dafür werden sie von der Gesellschaft benutzt. (…) Das Wichtigste wären ein richtig guter Vater und noch ein paar andere Männer im Verwandten- und Freundeskreis, die selbst gern Männer sind, die mit diesem Jungen was unternehmen und ihn so mögen, wie er ist.“ (http://goo.gl/Py7NeD)
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Jungen brauchen Väter, die ihnen liebevoll Leitplanken schenken: Leibliche Väter, Wahlväter, Mentoren, Lehrer, Ausbilder, Chefs, Priester. Wenn sie die bekommen, sind sie zu großartigen Dingen fähig, die diese Welt voranbringen – wenn man sie ihnen verweigert, stillen sie ihren Hunger nach Zugehörigkeit und Bedeutung mit Gewalt (gegen sich selbst oder gegen andere).
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Die islamische Kultur hat jungen Männer oft nichts mehr zu bieten: spirituell, wirtschaftlich, wissenschaftlich, philosophisch, sportlich, menschlich ist die islamische Welt in weiten Teilen erstarrt und rückwärtsgewandt. Die Väter der Jungen geben weder Halt noch Führung noch Perspektive. In der gnadenlosen Abwertung des Weiblichen offenbaren sich Selbsthass und Minderwertigkeitsgefühle.
Zugleich ergötzt sich die abendländische Kultur an Idealen des Marktradikalismus, die Menschen in erster Linie als Humankapital sieht; als Objekte anstelle von Subjekten, die Zweck ihrer selbst sind. Die, die hier ihren Platz finden, lassen sich ruhig stellen – die anderen reisen von Europa nach Syrien oder terrorisieren gleich vor Ort.
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Vater Staat muss endlich ein liebevoller Vater werden. Einer, der das Männliche schätzt ohne es über das Weibliche zu stellen. Einer, der Männern Gefühle zugesteht ohne sie feminisieren zu wollen. Einer, der Jungen Chancen gibt und nicht locker lässt, bis diese sie nutzen. Einer, der um die Anfälligkeit von Jungen weiß und sie dennoch nicht als Opfer oder Auslaufmodell der Evolution begreift. Einer, der sich als Vorbild erweist ohne zu unterdrücken.
So einen Vater Staat brauchen wir in Europa, brauchen wir in der arabischen Welt, überall auf der Welt. Dringend. Denn die jungen Männer werden nicht aufhören mit ihrer Suche nach Halt und Bedeutung.
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Leadership ist mehr als das Hochjazzen von Quartalszahlen ohne Sinn und Verstand. Wer führen will, der muss bei sich selbst anfangen und sich endlich die Frage stellen, was er denn vielleicht mal bleiben lassen sollte, damit überhaupt wieder Raum entstehen kann, in dem sich Jungen und junge Männer gerne und gut aufhalten können. Wo sie sich ausprobieren und die Hörner abstoßen können. Wo sie stark und gefühlvoll sein dürfen. Wo sie als Menschen geschätzt werden und nicht nur als Arbeitskraft, Selbstmordattentäter, Sozialversicherungspflichtiger, frömmelnder Nichtdenker.
Wirkliche Leadership weiß um die Wichtigkeit der Liebe als letztliches Ziel von allem. Führer, die das vergessen oder leugnen, ruinieren die Seelen und Körper der jungen Männer – und aller anderen, über die sie Macht haben: die Mädchen und Frauen, die Alten, die Natur, die politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Systeme.
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Die Zeiten sind gerade furchtbar – aber es gibt Alternativen. Packen wir’s an. Wir haben mehr verdient als Angst und Hass und Gewalt.
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