Ich sag’s offen: Mir gehen die Binnen-Is, die Gender*, die Und-Konstruktionen auf den Keks. Sie stören meinen Lesefluss und mein ästhetisches Sprachempfinden. Und Wörter wie Studierende oder Teilnehmende lassen mich innerlich würgen.
Und doch…
Und doch geht es nicht anders. Wir leben in einer Zwischenzeit, in einem Schwellenraum.
Das Alte ist überholt – das Neue noch nicht da.
Von Frauen auch weiterhin zu verlangen, sie mögen sich im Maskulinum mitgemeint fühlen, ist überholt, veraltet, am Ende. Eine neue, elegante Sprache, die deutlich macht, dass Frauen nicht mehr nur Mit-Gemeinte sondern Wirklich-Gemeinte sind, gibt es aber noch nicht. Die ersten Versuche sprachlicher Neuschöpfungen haben nicht gefruchtet. Zwischen-Zeit eben…
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Wie unklar die (sprachlichen) Zeiten sind, wie sehr wir noch im Alten und schon im Neuen stecken, weder im Einen noch im Anderen stabil verortet, zeigt dieses Ereignis:
Zum selben Zeitpunkt veröffentlicht einer der Vordenker in Sachen (Unternehmens-) Führung ein Buch, in dem er prophezeit, dass nur jene Unternehmen zukunftsfähig seien, die unter anderem radikal den Kunden in den Blick nehmen.
Reinhard K. Sprenger sagt:
„Digitalisierung bedeutet in ihrem Kern eben keine Technikrevolution, gerade nicht die Macht der Maschinen und die Herrschaft der Algorithmen. Sondern Konzentration auf das Wesentliche, was nur Menschen leisten können: die Wiedereinführung des Kunden, die Wiedereinführung der Kooperation, die Wiedereinführung der Kreativität. (…) Wenn Sie wollen, dass der Kunde in erster Linie an Sie denkt, müssen Sie in erster Linie an den Kunden denken. Produktentwicklung, Marketing, Vertrieb – alles wird radikal vom Kunden her gedacht. Das meint eine Organisation, die sich am Alltag des Kunden orientiert, das meint personalisierte Ansprache, marketinggetriebene Planung, individualisierte, konfigurierbare Produkte, die sich passgenau in das Lebensumfeld der Kunden integrieren. Und das muss mehr sein als hoch hinauswollendes Geschwätz. Der Kunde ist dann nicht mehr die Umwelt des Unternehmens, sondern umgekehrt, das Unternehmen ist die Umwelt des Kunden. Änderungswünsche kommen dann auch vom Kunden, nicht von der Hierarchie.“ (Quelle: https://www.wiwo.de/erfolg/management/fuehrung-diven-raus-dialog-rein/21046114-all.html)
Währenddessen lässt sich eines der größten deutschen Dienstleistungsunternehmen darauf ein, dass ein Bundesgericht öffentlich feststellt, dass die Hälfte seiner Kundschaft kein Recht darauf hat, (sprachlich) ernstgenommen und in den Mittelpunkt seines Dienst leistenden Handelns gestellt zu werden. Allen Ernstes lässt sich die Sparkasse darauf ein, dass ihre Ignoranz in flachgeistigen Argumentationen verteidigt wird wie gerade in der WirtschaftsWoche:
„Frauen müssen in Formularen nicht in weiblicher Form angesprochen werden. (…) Sagt der Bundesgerichtshof. Und zeigt sich damit (…) der Zukunft zugewandt. (…) Hätten die Deutschen erst gar nicht angefangen mit diesem weiblichen Anhängsel ‚-in’, dann wäre die kurze Fassung auch nicht die männliche, sondern die für beide Geschlechter. (…) Wörter haben die Bedeutung, die wir ihnen zuteilen. Solange eine Definition unklar ist, taugt der Begriff nicht für eine klare Kommunikation. (…) Die kurze Fassung ist eben für alle da. Männer und Frauen, lebt doch einfach damit. Das ist die Zukunft.“ (Quelle: https://www.wiwo.de/unternehmen/banken/werner-knallhart-kundin-darf-weiter-kunde-genannt-werden-das-ist-fair-/21065660.html)
„Autor, Moderator, Kolumnist“ – Hand aufs Herz: Wer denkt bei einer solchen Berufsbezeichnung an eine Frau? Eben! Und so lange das so ist, taugt das Maskulinum eben gerade nicht dafür, dass Frauen sich gemeint fühlen. Denn sie wurden ja auch 2.000 Jahre nicht gemeint sondern in weiten Teilen respektlos aus Wirtschaft, Bildung, Politik, Gesundheit, Sexualität und Religion ausgeklammert. Bewusst von den Männern zu Nicht-Gemeinten gemacht.
Genau darum geht es heute. Natürlich freue ich mich auf den Tag, an dem die Sprachverhunzungen ein Ende haben – aber dafür müssen sich zunächst die mentalen Verhunzungen auswachsen. Eins nach dem anderen.
Welche Unternehmen sind heute die erfolgreichsten? Die, die die Wünsche ihrer Kunden zu gut wie möglich bedienen: Amazon, Google, Apple, Facebook usw. Welche Unternehmen gehen unter? Die, die das nicht tun: Kodak, Nokia usw.
Kein Seminarprogramm eines Personalentwicklers kommt heute mehr ohne „agile“ Inhalte aus. Was aber ist der Kern von Agilität? Präsenz, Zuhören, Kooperation, Augenhöhe, Selbstreflexion usw.
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Also: Das Alte ist überholt – das Neue noch nicht da.
Bis dahin müssen wir Prioritäten setzen: Lieber eine holprige Sprache benutzen und die Überwindung langjähriger Unterdrückung sichtbar machen – als am gewohnten Sprachgebrauch kleben und die Zukunft von Unternehmen gefährden.
Wähle und zahle den Preis.