Liebe heißt das Kongress-Thema. Vom 18.-21. Mai 2017 treffen sich unter Federführung der Akademie Heiligenfeld über tausend Teilnehmer und rund 80 Referenten in Bad Kissingen, um gemeinsam über Liebe zu sprechen, zu forschen, nachzudenken – über Liebe als „die größte Kraft zum Glück, zur Erfüllung, zur Heilung, zum Frieden, zur Kreativität.“
Liebe ist der Grundkern meiner Arbeit in der Beratung, und über Liebe habe ich hier an dieser Stelle schon viel geschrieben – nun freue ich mich darauf, meine Eindrücke des Kongresses an dieser Stelle bloggend zu teilen.
Meine Website: www.berenfaenger.com
Sonntag, 21. Mai
Mein Fazit: Liebe ist ja so was von vernünftig!
Wie war’s? Eine Bewertung dieses Kongresses abzugeben, verbietet sich, denn ich konnte – wie jeder Kongressteilnehmer – nur einen Bruchteil der Beiträge besuchen. Über 70 Vorträge, Workshops, Mittags- und Abendveranstaltungen gab es, bisweilen zwanzig Workshops parallel. Jeder Besucher hat demnach seinen ganz eigenen Kongress erlebt, der thematisch einen weiten Bogen spannte:
Liebe im Business, Liebe in der Spiritualität, im Sex, in der Musik, in der Therapie und und und.
Im Vergleich mit anderen Kongressen war das Niveau durchgehend hoch: ich habe keine verkappten Akquisevorträge gehört sondern ehrliches Ringen um Wahrheit und Erkenntnis. Bis zum Schluss war die Hütte voll, und nur sehr selten verließen Teilnehmer vorzeitig einen Vortrag.
Inhaltlich habe ich nichts grundlegend Neues erfahren – und darüber freue ich mich sehr: denn ich fühle mich bestätigt, mit meiner Art der Beratung und meinen Kompetenzen absolut auf dem richtigen Weg zu sein, und auch meine großen Fortbildungen der letzten Jahre – Generative Coaching, Heldenreise, Morphisches Feld Lesen – waren eine hervorragende Wahl, die viele der Einzelthemen, die es in Bad Kissingen gab, professionell integrierten.
Wenn ich eine Klammer über alles legen müsste, würde ich es so beschreiben: die Menschheit rast immer schneller auf einen Punkt zu, an dem sich radikal etwas ändern muss. Im Umgang miteinander und mit uns selbst, in der Arbeit, in der Politik, in der Medizin, in der Bildung – überall muss dringend das Herz (wieder) Einzug halten. Heartfulness, Mindfulness, Playfulness. Ein Sinn für das Wir. Demut vor der Natur. Liebe nicht nur als romantische Verliebtheit sondern als bitter notwendige Grundlage für unser Überleben. Es ist das Bild einer Menschheit, die den Bogen überspannt, die ihre Freiheit, ihren Verstand, ihr Vorwärtsstreben, ihre Individualität ausreizt und dabei immer wütender und hilfloser ihre Wurzeln und Fundamente ausreißt.
Liebe im Business, in der Politik, in der Arbeit: Das ist kein esoterischer Hippie-Kram – das ist Vernunft der allervernünftigsten Sorte. Das hat dieser Kongress noch einmal sehr deutlich gemacht und dabei viele Anregungen und Optionen für den praktischen Alltag geliefert.
Nächstes Jahr geht es hier dann um: „KAIROS – den Wandel gestalten“
Rolf Verres: Leise Töne für die Liebe
Den Schlussvortrag hält Rolf Verres, der von seinen Versuchen berichtet, als Mediziner Liebe in den ärztlichen Betrieb zu bringen.
Er probierte dies mit Hilfe der Musik; experimentierte mit Rhythmus, Stille, Atmosphäre, archaischen Instrumenten, Klangteppichen und vielem mehr.
Im therapeutischen Kontext seien es besonders die leisen, manchmal melancholischen Töne, die besonders wichtig gewesen seien, und er beschreibt, wie der Klang von Musik im Krankenzimmer den Gang, die Sprache, das Auftreten der Pfleger und Ärzte beeinflusst habe.
Seinen Vortrag bereichert Verres mit Klangbeispielen, sei es vom Band oder selber per Flügel. Er zeigt sich überzeugt, das Musik/Klang/Töne einen hervorragenden Weg darstellen können, Liebe zu wecken und Menschen in Krankheit heilsam zu begleiten.
Christina Kessler: Was will das Leben von mir?
Diese Frage sollten wir beantworten, ehe wir die Frage stellen: „Was will ich vom Leben?“ Oder andersherum: „Liebe – und tu, was Du willst. Aber nicht umgekehrt!“
Eine solche Haltung zum Leben, zur Welt, zu sich selbst und zum Andern scheint Kessler Herzensangelegenheit zu sein. Sie spricht über die große „Dualität Natur-Kultur“, die zugleich einen großen Konflikt darstelle, einen „Ur-Konflikt“. Sie berichtet von ihren Forschungen bei indigenen Völkern, denen gemein sei, dass sie zuerst auf die Natur schauen und dann auf die Kultur, und sie sieht den „Westen“ vor großen Problemen stehen, die er selbst hervorgerufen habe, indem diese Reihenfolge in den letzten 3.000 Jahren umgekehrt habe.
„Natur ist die schöpferische Ebene, die den Menschen hervorbringt – Kultur ist die schöpferische Ebene, die der Mensch hervorbringt.“ Und „Weisheit ist der Einblick in die inneren Zusammenhänge der Wirklichkeit.“
Wer weise handle, erkenne die Dualität und die Bedeutsamkeit des „wilden Denkens“ im Gegensatz zum „rationalen Denken“. Beide seien wichtig, und noch wichtiger sei, dem umfassenden „Verfügungswissen“ des Westens eine „Orientierung“ zu geben, was sie als „Herzintelligenz“ bezeichnet.
Samstag, 20. Mai
Hans-Peter Kempkes / Thomas Brokelmann: Vertrauen in die Konzeptlosigkeit
Chinese kauft deutschen Traditions-Mittelständler und will vom externen Berater wissen, welche Köpfe rollen müssen. Der weigert sich, den „Henker“ zu geben und initiiert stattdessen einen Prozess, in dem er „Entwickler“ sein kann.
Potenziale heben, Stärken identifizieren, Team-Geist schaffen. Oder kurz: Die Liebe wieder erwecken. Und das in einem ZDF-Unternehmen: Zahlen, Daten, Fakten bestimmen den Alltag – Begriffe wie Empathie, Sinn oder Zuhören sind eher fremd.
Für mich als Berater ist es spannend und inspirierend zu hören, wie es dem Kollegen gelingt, als „Machtmensch“ Stück für Stück Herzen zu öffnen. Beharrlich hält er an seinem “Konzept der Konzeptlosigkeit” fest, vertraut darauf, dass die wichtigen Dinge von selbst sichtbar werden und er damit erfolgreich umgehen wird: „Reingehen und mit dem arbeiten, was kommt.“
Aus Kempkes Sicht sind genau die Unternehmen erfolgreich, die die zentralen Entscheidungen intuitiv treffen. Die Wirtschaftswissenschaften hätten hierzu noch kaum etwas beizutragen, denn “Intuition und Kreativität lägen außerhalb jeder Wissenschaft”.
„Wer Vertrieb macht, vertreibt die Kunden“, frotzelt Kempkes und nennt die Alternative: „Wenn Sinn im Unternehmen ist, dann ist das Unternehmen magnetisch.“
Immer wieder macht er deutlich, dass sich Liebe und Ökonomie nicht ausschlössen; ganz im Gegenteil: Erst wenn Liebe im Unternehmen strömen kann, könnten die Mitarbeiter Sinn erleben, und das Unternehmen – ein “eigenständiger Organismus” – könne auch wirtschaftlich erfolgreich sein. Arbeit werde auf diese Weise ein Ort der Sinnstiftung und der persönlichen Weiterentwicklung – getragen von der „Kraft des Zusammenhalts.“
Es tut mir gut, solche Erfahrungen zu hören, denn sie bestärken mich in meinen und in meiner Haltung: Der Kern von allem ist Kontakt, ist Verbindung, ist echtes Interesse am Anderen.
Und es ist wunderbar zu erfahren, dass dies nicht nur in Coaching und Training gilt sondern auch im harten Business-Alltag. Mit großer Freude sehe ich, dass es möglich ist, auch in Branchen/Unternehmen, wo man dies zunächst für undenkbar halten könnte, mit Begriffen wie Liebe, Herz, Sinn, Konzeptlosigkeit oder Energie hineinzugehen – und dass es dazu sture, kluge, überraschende Querköpfe als Berater geben kann und geben muss, die innerlich wie äußerlich nicht dem Mainstream-Berater-Bild entsprechen.
Barbara Fromm: Liebe ist sowieso
„Wir können uns entscheiden, die Kraft der Liebe nicht zu nutzen, aber wir können sie nicht zerstören. Wir können ihre Regeln missachten, aber nie außer Kraft setzen.“
Fromm setzt ein klares Statement für den Stellenwert, den die Liebe in dieser Welt einnimmt: „Menschen drücken entweder Liebe aus – oder rufen nach ihr.“ Zum Beispiel in Form von Wut und Ärger.
Für ein gelingendes Leben und für gute Führungskraft empfiehlt sie fünferlei:
- Lieben Sie sich selbst
- Verurteilen Sie nicht (auch sich selbst nicht)
- Hören Sie zu (mit dem Herzen)
- Lachen Sie
- Üben Sie Dankbarkeit
Den Rest der Arbeit „macht die Liebe.“
Fromm malt ein schönes Bild: Die Liebe als großer, tiefer, blauer Ozean – und obendrauf die kleinen Schaumkrönchen: das ist das Ego; die können der Liebe nichts anhaben.
Sie mahnt: Liebe ist immer bedingungslos. Sobald Bedingungen im Spiel sind, sei es Angst. Im Gegensatz zur Liebe sei die Angst immer gebunden an Gedanken und zwar an Gedanken über die Zukunft. Die Liebe stehe für sich, die Angst nicht.
Führungskräften ruft sie zu: „Wenn ich aus der Liebe heraus führe, bin ich furchtlos. Ich muss bewerten, brauche aber nicht zu verurteilen. Jedes Urteil trennt uns von der Liebe. Die Liebe sagt Ja zu dem, was ist.“
Wilhelm Schmid: Es braucht eine Entscheidung
Ein grandioser Vortrag! Lebenskunst ist das zentrale Thema des Philosophen mit bayerisch-schwäbischen Wurzeln, und so spricht er heute morgen über „Liebe und Lebenskunst“. Ein Feuerwerk an Bonmots, charmanten Bildern und spruchreifen Zitaten lässt er durch den großen Saal des Regentenbaus fliegen, und das Publikum dankt es ihm mit langem Applaus.
„Was ist die Liebe? Sie ist, was sie ist, sagt Erich Fried. Aber das hilft uns nichts!” Vielmehr gelte: “Liebe ist, was als Liebe gedeutet wird.“
Nur habe eben jeder seine eigene Deutung, und jede Deutung sei gleichermaßen wahr – und selten nur hätten wir ein Bewusstsein über unsere Deutung, wodurch es alsbald zu handfesten Problemen käme.
Ziel müsse es demnach sein, „die Deutung zu verschieben“, was wir aber nur ungerne täten, weil wir uns nicht von „unseren Illusionen lösen wollen.“ Und die vorherrschende Illusion bezüglich der Liebe sei seit langem die „romantische Liebe“, was Schmid zu der Frotzelei motiviert: Die hätten wir, weil „Menschen Probleme brauchen.“
Die Illusion bestünde darin, dass wir der Illusion aufsäßen, wonach Liebe permanentes Einssein, Harmonie, Zugewandtheit etc. bedeuten würde. Da das offenkundig nicht der Fall sei, plädiert Schmid für eine „pragmatische Alternative“: die „Gegensätze in unsere Liebe mit hineinzunehmen“, die „Liebe atmen zu lassen“. Einssein UND Getrenntsein, zugewandt UND distanziert, Freude UND Streit. „Wir müssen uns auch mal erholen voneinander.“
Warum ist uns die Liebe so wichtig, obwohl so viel Ärger, Hass und Leid mit ihr einher geht, fragt Schmid und sagt:
„Liebe ermöglicht Sinn“– „Beziehung ermöglicht Sinn.“
Mit klaren Worten kritisiert er, dass sich unsere Kultur seit längerem darin auszeichne, Beziehungen zerstören zu wollen. Das habe zwar auch sein Gutes, denn das Zerstören von Beziehungen ermögliche Entwicklung, aber ohne „zuverlässige Beziehungen“ erfahre der Mensch keinen Sinn, wodurch großes Leid entstehe.
„Der Sinn der Liebe ist die Schaffung von Sinn.“ Dies müsse nicht zwingend die Beziehung zu einem Menschen sein. Auch in der Beziehung zu Natur, Kunst oder Tieren könnten sinnhafte Erfahrungen entstehen.
In der Paarbeziehung rät Schmid dazu, „idealerweise mehrere Ebenen zu aktivieren“:
Die KÖRPERLICHE Ebene > Sinnlichkeit (den Anderen gerne riechen, fühlen, schmecken, hören, sehen sowie den siebten Sinn füreinander offenhalten), Erotik, Sexualität, Wissen. „Der Stoff der Liebe sind nicht nur die Gefühle, sondern auch die Körper“, sagt Schmid und plädiert für die Aneignung von Wissen, was wie funkioniert.
Die GEFÜHLE > Sie seien die „Sprache der Seele, die der Raum für die Energie ist, die uns lebendig macht.“ Schmid zeigt sich überzeugt, dass „es etwas Unsterbliches in uns gibt – und das ist nicht das Ich.“ Gut, dass es den Tod gebe… Mit Blick auf die üblichen Paarprobleme rät er anzuerkennen, dass „Gefühle auch ungute Gefühle sind. In der Liebe gebe es auch Hass, und auch der stelle die Liebe nicht infrage.
Die GEDANKEN > Wir machen uns Gedanken. Über uns selbst, über die Welt, über den Partner. Diese sollten wir miteinander austauschen, wir sollten „Honigwabe und Klagemauer“ füreinander sein. Durch den Austausch von Gedanken im zweckfreien Plaudern bleiben wir „auf Tuchfühlung“ und öffneten uns der Veränderung.
Die Ebene DARÜBERHINAUS > In den „purpurnen Stunden“ gebe es die Momente, in denen sich „die Zeit auflöst“. Diese Ebene der „Transzendenz“ können wir nicht „machen“, sie komme (vielleicht), wenn wir uns „maximal offen“ halten: Beim Sex, im Gespräch, im Spüren.
In seiner ihm eigenen Mischung aus belesener Klugheit und trockenem Granden warnt Schmid sein Publikum: In einer Paarbeziehung seien wir nicht immer auf derselben Ebene! Dadurch entstünde dann Ärger; gerade im Alltag mit seinen notwendigen Verrichtungen.
Da wir den Alltag aber nicht loswürden, gelte es, „unsere Haltung zum Alltag“ zu ändern. Wir sollten „den Alltag willkommen heißen“, da er so sein Potenzial für Ärger verliere, wodurch dann wiederum Raum für Romantik entstehe.
Es gelte, Gewohnheiten zu pflegen und Zeiten zu synchronisieren – beispielsweise ganz praktisch in Form gemeinsamer Malzeiten. Und auch für Streit(en).
Um für all dies die erforderliche Zeit zu gewinnen, rät er, die „Goldenen Stunden“ zu nutzen. Die Stunden am Tag, an denen uns alles leicht von der Hand geht. So erledigten wir schnell, was erledigt werden muss, und gewinnen freie Zeit füreinander.
Und das sei essenziell in unserer heutigen Zeit der Zwanglosigkeit und Beziehungszerstörung: „Die Liebe steht und fällt mit dem Wohlwollen füreinander – und das kommt aus einer Entscheidung füreinander.“
Freitag, 19. Mai
Gerhild Heitzmann / Katja Lutz-Deklerk: Von der unbedingten Lust, aus der Liebe heraus zu arbeiten
„Wer führen will, muss Menschen lieben!“, beschreiben die beiden Trainerinnen ihre Haltung, die zugleich eine große „Sehnsucht“ darstellt.
Noch bevor es losgeht, stellen sie klar, dass es hier keine neuen Methoden oder Führungskonzepte geben wird. „Wir besinnen uns immer wieder neu“, sagen sie und zitieren Laotse, der schon vor über zweieinhalbtausend Jahren lehrte, wie unabdingbar die Liebe ist für ein Leben in Wert und Würde.
„Führung ist Gestaltung von Beziehung“ – im Gegensatz zu einem Führungsstil per Rundmail, Excel-Liste oder Memo. Die Teilnehmer diskutieren angeregt und engagiert. Man spürt deutlich, wie groß der Wunsch ist, dass Führung sich ändert. Jeder Hinweis auf Firmen, die bereits Schritte in diese Richtung gehen, wird mit Neugier und Freude quittiert.
Ich persönlich habe mich sehr gefreut, an diesem Workshop teilzunehmen, denn es tut mir gut, auf Menschen zu treffen, die auf dem gleichen Weg sind wie ich: Aus dem Herzen heraus zu arbeiten, Liebe ins Unternehmen zu tragen, Interesse und Kontakt ins Zentrum von Coaching und Training zu stellen.
HERZgesteuert. Denn FÜHRUNG schreibt man heute LIEBE
Hans Jellouschek / Bettina Jellouschek-Otto: „Sex muss man wollen“
„Was braucht die Liebe?“, fragen die Jellouscheks in ihrem Vortrag, und stellen erst einmal klar, was sie nicht brauche:
- Intensive Verliebtheit am Anfang
- Bleibend leidenschaftliche Sexualität
- Höchste Glückserwartung
Viel wichtiger seien hingegen diese acht Aspekte:
- Verbindlichkeit
- Intimität / Paar-Inseln
- Balance
- Stress-Management
- Achtsamkeit
- Großzügigkeit
- Krisen als Chance sehen
Victor Chu: Väter müssen Silberrücken sein
Im Patriarchat war der Vater wenigstens noch (ab und zu) da – heute ist er immer öfter gar nicht mehr da. Dr. Victor Chu sieht die Jungen immer verzagter werden, sie wüssten nicht, was sie wollten, fielen in sich zusammen.
Kinder brauchen Väter, Mütter brauchen Männer in Vaterschaft.
Die erste Aufgabe des Vaters sei der kraftvolle Schutz der engen und verletzlichen Mutter-Kind-Beziehung. Wie ein „Silberrücken“ müsse sich der Vater vor seine Familie stellen und schützen. Und deshalb bräuchten Väter und Mütter dringend wirksame Entlastung durch die Gesellschaft, um ihre beiden Arten des Kümmerns gut leben zu können.
Es sei gut, wenn der Vater anders erziehe als die Mutter, denn dann habe das Kind Wahlmöglichkeiten, sagt Chu. Und wenn die Pubertät kommt, muss der Vater da sein, um das Kind in Empfang zu nehmen, das dann von der Mutter wegstrebt.
Mit Anselm Grün sieht Victor Chu Krieg als Ausdruck einer pervertierten Männlichkeit, die Vaterlosigkeit durch Ideologie ersetzt. Männer, die nicht bevatert werden, sieht er anfällig für Führer, die die Jungen mit vermeintlich väterlichen Strukturen locken.
Anselm Grün: Die Wunde wird zur Perle
Der Morgen beginnt mit einem Redner, den ich ganz besonders schätze: Benediktinerpater Anselm Grün spricht über „Die Liebe als Macht“.
Weder einmal beeindruckt er mit seiner Gabe, Dinge aus einem unerwarteten Blickwinkel zu betrachten und damit neue Perspektiven zu ermöglichen. Und es ist eine Wohltat zu erleben, wenn ein Redner so umfassen gebildet ist: Theologie, Quantenphysik, Platon, C.G. Jung, die Bibel, Eros, Dostoijewski, Hüther und viele(s) mehr fließen mit leichter Hand in Grüns Vortrag.
Der Kern seines Vortrags: Die Liebe ist die einzige Kraft, die die Macht hat, zu verbinden und zu vereinigen OHNE, dass wir aufgelöst werden; ohne, dass vorher etwas zerstört wird.
In der Evolution setzt sich nicht der Stärkere durch, sondern wer erfolgreich Verbindung schafft. Das Kreuz als Sinnbild für ein Einssein größer als der Tod.
Wenn wir von der Liebe sprechen, müssen wir auch von der Schönheit sprechen, sagt Grün. „Schön ist der, den ich lasse – hässlich bin ich, wenn ich hasse.“ Und der fragt: „Was ist anstrengender: Den Feind zu lieben oder zu lassen?“ In Liebe hebt Gott die Grenzen auf – auch zwischen Guten und Bösen.
Sehr deutlich betont Grün, dass es nicht darum gehe, sich als Opfer zu gerieren. Wer die Opferrolle wählt, sei ein Täter, der seiner Umwelt nichts Gutes bringe. So interpretiert er auch die „kreativen Ideen“ aus der Bergpredigt: sie seien nicht moralisch zu sehen sondern als neue Möglichkeiten, mit schwierigen Situationen einen schöpferischen Umgang zu finden. Wer den Feind segnet, installiert für sich selbst einen Schutzschirm. Für sich selbst!
„Wo Verbundenheit ist, entsteht Kreativität. Wo Angst ist, entsteht Betrug.“, ruft Grün den Unternehmen zu – und den Mitarbeitern: „Wir sind verantwortlich, mit welchem Gefühl wir morgens in die Firma gehen.“
In der Heldenreise lernten wir, unsere Lebenswunde zu uns zu nehmen, denn nur so sei ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung möglich. Und Grün sagt heute: „Die Wunde wird zur Perle“, wenn der Coach/Therapeut/Begleiter die Liebe schenkt, die alles hofft.
Donnerstag, 18. Mai
Joachim Galuska: Das Ringen um eine weise Liebe
Der Kongress hat begonnen. Zum Auftakt liest die Therapeutin Lara Pietzko Ausschnitte „Von der Liebe” von Khalil Gibran, und dann hält Dr. Joachim Galuska – seines Zeichens Vorsitzender der Geschäftsführung und Gesellschafter der Heiligenfeld Kliniken und der Akademie Heiligenfeld und vieles mehr – den ersten Vortrag.
Um „weise Liebe“ geht es. In weiten Bögen nähert sich Galuska der Liebe – beginnend bei schnöden Duden-Definitionen, endend in feinsinnigen, klugen, philosophischen Betrachtungen. Dafür leiht er sich unter anderem die treffenden Worte des Mystikers Sumnun:
Man kann eine Sache nur durch etwas anderes erklären,
das subtiler ist als sie selbst.
Es gibt aber nichts, was subtiler wäre als die Liebe
Wie könnte also die Liebe erklärt werden?
Er wirbt dafür zu erkennen, dass unser Erleben der Welt bloß ein Konzept ist. Diese Konstruktion gilt es zu dekonstruieren und dann den Raum zu spüren, der sich weit auftut, wenn wir die Enge unseres Denkens verlassen. So könne aus einem „Leben im Tunnel“ ein „Leben im Raum“ werden.
Es macht Freude zuzuhören, wie Galuska darum ringt, sich dem Kern von Liebe und Weisheit zu nähern. „Es lohnt sich, da hinzuspüren“ und „manchmal sind Substantive ein Problem“. Also versucht er es mit Verben, und formuliert eine Fülle möglicher Beschreibungen des Liebens.
Moralisierungen sind ihm ein Graus („Du sollst lieben“), und er warnt davor, Erlebnisse des Erwachens („Nicht-Mehr-Gefangen-Sein-In-Konzepten“) wiederum zu neuen Konzepten zu formen. Den Geist offen zu halten, ist sein Credo. Dies brauche durchaus Mut.
In ähnlicher Weise kennt man dies auch aus der Akzeptanz- und Commitment-Therapie ACT, die Therapeuten und Coaches ebenfalls dazu aufruft, ihre Klienten zu unterstützen, gute Erfahrungen in der Beratung nicht als neue Wahrheiten festzuhalten. Und in meiner ZIPAT-Heldenreise haben wird ein ganzes Jahr lang erfahren, wie krachend es einem auf die Füße fällt, wenn man(n) der Struktur auf den Leim geht, indem man Erfahrungen berührender Weiterentwicklung zu neuen Konzepten formt – das spirituelle Ego ist schon ein gemeines…
Anschließend nähern sich dann noch Markus Stockhausen und Tara Bouman musikalisch dem Kongressthema – und ich bin gespannt, wie es morgen weiter geht.
Sonntag, 14. Mai
Gedanken vorab
Wir kommen an der Liebe nicht vorbei: Entweder hat man sich schon für sie entschieden und handelt aus ihr heraus: Voller Freude, Vertrauen, Zuversicht und Kraft. Oder man ist (noch) in der Angst, getrieben von Handlungen der Abgrenzung, der Wut, des Abwertens. Mit dem Wunsch, alles hinter sich zu lassen, was verunsichert und dem Ziel, sich sicher und zugehörig zu fühlen. In Liebe also.
Wer sich für die zweite Alternative entscheidet, versucht dort anzukommen, von wo der, der die erste Alternative gewählt an, bereits startet. Was erscheint Ihnen attraktiver?
Alle Menschen teilen das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Autonomie, nach Sicherheit und Freiheit. Wer diese Bedürfnisse auf Grundlage von LIEBE zu befriedigen sucht, wird einen angenehmeren Weg vor sich haben und einen wertvolleren Beitrag für das Miteinander leisten als der, der ANGST zum Maßstab seines Handelns wählt.
Wir müssen nicht liebe-voll handeln. Wir haben die Wahl. Wir sind frei in unserer Entscheidung, denn im Menschen sind beide Tendenzen zur freien Verfügung angelegt: Die Höher- und die Niederentwicklung – bis zur Selbstzerstörung. Wir haben die Wahl. Und kommen an dieser Freiheit nicht vorbei.
Was wir im Moment erleben, scheint mir das letzte Aufbäumen einer ANGST-orientierten Welt zu sein: Die völlig sinnentleerten Aktionen von Männern wie Trump, Erdogan oder Putin zeigen uns täglich die Konsequenzen einer Geisteshaltung, in der LIEBE keine Rolle spielt. Letztlich werden diese Männer untergehen und ihren Platz für eine Menschheit räumen, die sich als Kollektiv eine Stufe höher entwickelt – die Frage ist nur: Geschieht dies mit oder ohne kathartische Katastrophe?
LIEBE meint…
- Freiheit
- Zugehörigkeit
- Verbundenheit
- Freude
- Vertrauen
- Respekt
- Humor
- Würde
- Achtung
- Interesse
- Zugewandtheit
- Wohlwollen
- Integration
- Einzigartigkeit
- Verschiedenheit
- Selbstbestimmtheit
- Aufrichtigkeit
- Freundlichkeit
- Dankbarkeit
- Integrität
- Eigenverantwortung
- Güte
- Autonomie
- Fehlerkultur
- Menschen als Subjekte
ANGST meint…
- Druck
- Kontrollwut
- Neid
- Ausgrenzung / Mobbing
- Schuldzuweisung
- Misstrauen
- Gier
- Fehler-Fokussierung
- Gehorsam
- Hetze
- Häme
- Freund-Feind-Denken
- Abwertung
- Kleinmachen
- Gleichgültigkeit
- Desinteresse
- Moralismus
- Rücksichtslosigkeit
- Egoismus
- Opfer-Denken
- Extremismus
- Misstrauen
- Verregelung
- Mikro-Management
- Menschen als Objekte
- Gekränktsein-Wollen
#Heiligenfeld
Bildnachweis > Header: © Akademie Heiligenfeld | Baum-Grafik: © mirpic-Fotolia.com_24618878 | Alle anderen: Harald Berenfänger
Danke für die wertvollen Tagungsberichte und Perspektiven auf die Liebe. Ich halte allerdings nicht die Angst für den Gegenpol der Liebe, sondern die Abwehr der Angst bzw. keine Angst spüren zu wollen. Die Angst will genauso liebevoll angenommen werden wie alles andere und macht dann der liebe Platz.
Danke, lieber Saleem, für Deine freundliche Rückmeldung. Ich freu mich sehr, dass Du hier mitliest.