Im ZEITmagazin beantwortet der Therapeut Wolfgang Schmidbauer Leserfragen. Die jüngste Antwort hat mich erschüttert, und ich muss einfach etwas dagegenhalten.
Die Situation:
Ein 14jähriger Junge beschimpft seine Mutter als “Votze” und will den Raum verlassen. Der Vater bekommt das mit, stellt sich ihm in den Weg und fordert ihn auf sich zu entschuldigen. Der Junge will sich an ihm vorbeidrängen und schlägt den Vater, der sich wehrt. Die Mutter geht dazwischen und maßregelt den Vater: „Du hättest ihn gehen lassen sollen.“
Der Therapeut unterstellt dem Vater Gewalt und ein Steigern der Spanung. Er fordert den Vater auf, in einer Weise mit dem Jungen umzugehen, die diesem ein „Verständnis unter Männern“ ermöglicht. Er solle mit dem Jungen verhandeln.
Außerdem hebt der Therapeut darauf ab, dass der Vater erst seit dem 4. Lebensjahr die Vaterrolle innehat.
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Ich kann es nicht anders ausdrücken: Ich bin fassungslos!
Eine Mutter, eine erwachsene Frau, lässt sich von ihrem Sohn aufs Derbste beleidigen. Und setzt ihm keine Grenze. Und kritisiert ihren Mann, der an ihrer Statt die Grenze setzt. – Und ein Therapeut unterstützt das Ganze auch noch!
Was hat der Junge hier gelernt?
1. Ich darf meine Mutter als Votze beschimpfen.
2. Ich darf später meine Frauen als Votze beschimpfen.
3. Meine Mutter ist gerne ein Opfer.
4. Frauen sind gerne Opfer.
5. Meine Mutter ist weniger wert als ein Mann.
6. Frauen sind weniger wert als Männer.
7. Mein Vater darf seine Frau nicht schützen.
8. Männer brauchen ihre Frauen nicht zu schützen.
9. Mein Vater verhält sich falsch = unmännlich.
10. Es ist falsch und unmännlich, Respekt von Söhnen einzufordern.
11. Ich darf machen, was ich will.
12. Ich darf meinen Vater schlagen.
13. Ich darf Gewalt nutzen, um zu bekommen, was ich will.
Die Mutter müsste dringend in Persönlichkeitsentwicklung investieren, um ihre Minderwertigkeitsgefühle zu bearbeiten – und der Therapeut hätte sie genau dazu ermuntern müssen.
Außerdem wäre es ein starkes und angemessenes Signal an die Männerwelt gewesen, wenn der Therapeut seine Bühne genutzt hätte, den Vater zu loben und ihm zu danken. Von wem sollen Jungen denn Respekt vor Frauen lernen, wenn nicht vom Vater bzw. von dem, der diesen Job übernommen hat?
Viel zu viele Männer schwänzen diesen Job, und das nicht nur in Kulturen, die Jungs traditionell zu frauenverachtenden Prinzen verziehen.
Und viel zu viele Frauen unterstützen ihre Männer in ihrem Versagen.
Um es ganz klar zu sagen: Jungen brauchen Vater-Energie! Einen Vater, der sie bestärkt, fordert und lobt – und der ihnen klare Grenzen aufzeigt, wo sie über die Stränge schlagen. Die ihnen Wege zeigen, wie sie mit ihrer Aggression umgehen können und wie nicht.
Jungen respektieren keine Väter, die aus Feigheit oder Bequemlichkeit auf diese Grenzsetzungen und Konflikte verzichten. Jeder Junge will aber zu seinem Vater aufschauen – und das kann er nur, wenn der sich nicht unter ihn und unter seine Frau stellt.
Unsere Welt krankt auf vielen Ebenen daran, dass Frauen und das Weibliche immer noch als unwerter und unwichtiger angesehen werden als Männer und das Männliche. Um diese Perversion zu beseitigen, braucht es Eltern, die ihren Kindern neue, bessere Rollenbilder vorleben – und keine Therapeuten, die genau das zu verhindern suchen.
PS. Ja, der Vater ist nicht der biologische Vater. Aber sowohl die Dauer der Vater-Sohn-Beziehung als auch der frühe Beginn dieser Beziehung geben dem Vater das Recht, aus der Position eines Vaters heraus zu agieren. Wäre er bsp. erst vor einem Jahr ins Patchwork hinzugestoßen, dann bliebe ihm nur die Position des Mannes der Frau; nicht die des Vaters des Sohnes. Aber dies ist hier ja anders.