Volkmar (56):
„Wie kann ein ADHS-ler in dieser Welt zurecht kommen?“
Lieber Volkmar, vielen Dank für die Frage aller Fragen: Wie komme ich in dieser Welt zurecht? Wie sichere ich meine Grundbedürfnisse? Wie finde ich Gemeinschaft? Wie finde ich Sinn? Wie finde ich einen guten Ort zum Arbeiten, zum Lieben, zum einfach Sein?
Das erste, was mir bei Ihrer Frage durch den Kopf schoss, war eine Gegenfrage: Wie sind Sie denn in den letzten 56 Jahren in dieser Welt zurechtgekommen? Was haben Sie getan, was haben Sie gelassen, um heute immer noch am Leben zu sein?
(Ich beantworte Ihre Frage in der Vorannahme, dass Sie und nicht irgendjemand anderes ADHS haben.)
Welche Stärken, Kompetenzen und Fähigkeiten waren Ihnen dabei besonders hilfreich? Welche Menschen, welche Lehrer im weitesten Sinne, welche Gedanken waren Ihnen bei Ihrem 56-jährigen Zurechtkommen in dieser Welt besonders nützlich?
Diese Welt dreht sich immer schneller. Gewissheiten verlieren an Beständigkeit. Immer mehr wird digitalisiert und aus dem analogen Trott gerissen. Maschinen, Roboter und Algorithmen übernehmen das Ruder.
Was bleibt? Im Kern vor allem eines: Kreativität. Die Fähigkeit, Neues zu erschaffen. Neue Lösungen, neue Wege, neue Gedanken. Immer öfter geht es darum, etwas zu erschaffen, was vorher noch nie denkbar war. Das heißt auch: Querverbindungen schaffen, Synergien nutzen, Links herstellen.
Kurz gesagt, diese Welt braucht Menschen, die im Kopf sehr schnell, sehr sprunghaft und sehr ungewöhnlich ticken. Die manchmal sogar ihren eigenen Gedanken beim Überholen ihrer eigenen Gedanken zusehen können. Die schier wahnsinnig würden, wenn sie dieses Feuerwerk nicht länger abbrennen dürften. Diese Welt braucht ADHS-ler.
Ich habe keine Ahnung, wie sich ADHS bei Ihnen konkret äußert. Mit welchen Schwierigkeiten Sie kämpfen, ob Sie Medikamente nehmen. Aber das war ja auch nicht Ihre Frage.
Was ich weiß, ist, dass diese Welt dringend Menschen braucht, die anders sind, einfach, weil Anders-Sein die einzige Versicherung ist, um als Gesellschaft gut in die Zukunft gehen zu können.
Also: Es geht darum, dass Sie Ihre Stärken und Ihre besonderen Fähigkeiten sehen, akzeptieren und alles dafür tun, was nötig ist, um einen Ort zu finden, wo Sie genau damit willkommen sind. Und es kann sein, dass Sie ärztliche Unterstützung in Anspruch nehmen sollten, um Ihre besonderen Fähigkeiten zu beschützen und zur Entfaltung zu bringen. Das aber kann ich als Nicht-Arzt und aus der Ferne natürlich nicht beurteilen.
Lieber Volkmar, Sie haben mir die bisher kürzeste Frage gestellt, und ich hoffe, dass ich Ihnen ein wenig weiterhelfen konnte.
Ich wünsche Ihnen viel Freude und viel Spaß beim weiteren Zurechtkommen.
Ihr
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