Bastian Berenfänger (38)
„Wie bekomme ich wieder Elan und Schwung in mein Leben? Denn nach meinem Arbeitsunfall vor 16 Jahren fehlt mir die Kraft.“
Lieber Bastian Berenfänger, Sie fragen, wie Sie wieder Schwung und Elan in Ihr Leben bringen. Mein erster Gedanke dazu: Machen Sie genauso weiter! Sie bitten mich um Rat auf einer Website, die Anonymität garantiert – und Sie tun dies unter Klarnamen! Ganz offenbar haben Sie sich entschieden, Ihre Hilflosigkeit nicht länger vor der Welt zu verbergen, sondern sich offen zu ihr zu bekennen. Das aber braucht: Mut und Tatkraft und Entscheidungsfreude.
Auch wenn wir beide denselben Nachnamen tragen, kennen wir uns doch nicht, und ich habe keinen blassen Schimmer, was Ihnen mit 22 Jahren widerfahren ist, noch wie es Ihnen heute geht.
Ich weiß nur, dass Sie mir geschrieben haben und was Sie mir geschrieben haben. Ich weiß, dass Sie einen ersten Schwung in Ihr Elend gebracht haben. Zugleich haben Sie dafür gesorgt, dass dieser neue Elan nicht so einfach wieder verpufft, denn es könnte ja sein, dass jemand, den Sie kennen, das hier liest und Sie darauf anspricht.
Kurz gesagt: Sie haben es in die Welt gebracht, dass Sie Ihrem Leben eine neue, schwung-und kraftvollere Richtung geben möchten. Sie haben das nicht nur gedacht und klammheimlich ersehnt, nein, Sie haben es niedergeschrieben und potenziell für jeden Menschen dieser Welt lesbar gemacht.
Also Chapeau erst mal!
Wie kann es nun weitergehen?
Natürlich würde ich Ihnen sehr ans Herz legen, sich für eine Weile führende Begleitung zu suchen. Es ist leichter, den Sumpf zu verlassen, wenn wir dabei nicht alleine sind. Das kann in Form einer Einzelarbeit erfolgen oder in einer Gruppe von Gleichgesinnten. Wichtig nur, dass der Mensch, dessen Führung Sie sich für eine gewisse Zeit anvertrauen, Ihr Vertrauen hat und Sie angemessen fordert. Kein (Selbst-) Mitleid mehr!
Schon jetzt aber könnten Sie folgenden Satz in sich wirken lassen:
Wähle, und zahle den Preis. – Was heißt das?
Sie können den Weg wählen, so weiterzumachen wie bisher. Ohne Elan, ohne Schwung, ohne Kraft. Der Preis, den Sie dafür zahlen: ein frustrierendes Leben ohne wirkliche Zufriedenheit. Mit Perspektivlosigkeit, Einsamkeit und wenig Chancen auf guten Sex, spannende Freunde und ein attraktives Spiegelbild. Ihnen wird aber auch ein Preis verliehen, wenn alles so bleibt, wie es ist: Sicherheit und Bequemlichkeit. Sie haben jetzt fast die Hälfte Ihres gesamten Lebens ohne Kraft, Elan und Schwung verbracht. Man könnte also sagen, dass Sie ein wahrer Experte für Antriebslosigkeit sind. Und für etwas Experte zu sein, verleiht Sicherheit, denn da gibt es ein Gebiet, auf dem man sich auskennt und zu Hause ist. Da weiß man, was man hat. Und dort, wo wir uns richtig gut auskennen, müssen wir uns nur noch wenig anstrengen. Das ist bequem.
Sie können aber auch den Weg wählen, es künftig anders zu machen. Der Preis, den Sie dafür zahlen: Ihr Leben wird anstrengender als bisher. Wahrscheinlich sehr viel anstrengender. Sie werden sich jeden Tag aufs Neue in den Hintern treten müssen, gegen Selbstmitleid, Bequemlichkeit und andere innere Widerstände anzugehen. Sie müssen den Mut beweisen, sich auf ein Gebiet vorzuwagen, auf dem Sie sich noch nicht auskennen. Sie werden mit Rückschlägen klarkommen müssen und mit Menschen, die komisch finden, was Sie da tun. Ihnen wird aber auch ein Preis verliehen, wenn Sie dies tun: Sie bekommen die Chance auf ein Leben mit mehr Zufriedenheit, mit neuen Perspektiven, mit Menschen, die Sie mögen, mit Chancen auf guten Sex, mit spannenden Freunden und einem attraktiven Spiegelbild.
Achtung: Sie bekommen die Chance – keine Garantie! Das einzige, was garantiert ist, ist der Preis, den Sie zahlen, wenn alles so bleibt, wie es ist.
Mut bedeutet, einer Überzeugung auch dann treu zu bleiben, wenn der Lohn nicht garantiert ist. Harry Potter hat den Kampf gegen Voldemort aufgenommen, ohne zu wissen, dass er ihn gewinnt. Frodo hat sich als Ringträger zur Verfügung gestellt, ohne zu wissen, ob er sein Ziel erreicht.
Was also brauchen Sie, um den Mut zu fassen, die letzten 16 Jahre Ihres Lebens in Selbstachtung, Güte und Dankbarkeit anzuschauen? Was brauchen Sie, um den Mut zu fassen, all den inneren und äußeren Stimmen, die Sie nur zu gerne weiterhin in Antriebslosigkeit sehen würden, schwungvoll den Stinkefinger zu zeigen? Was brauchen Sie, um zu glauben, nein, zu wissen:
- Es ist möglich
- Ich verdiene es
- Ich kann es
- Ich bin es wert
Was brauchen Sie, um Ihr Leben vom Ende her anzuschauen und sich zu fragen: Wie würde (m)ein Leben aussehen, an dessen Ende ich nichts bereue?
Was brauchen Sie, um die Unterscheidung zu treffen, dass Sie kein Verunfallter sind, sondern ein Mensch, der lediglich verschiedene Erfahrungen gemacht hat? Manche davon waren halt doof.
Was brauchen Sie, um darauf zu vertrauen, dass Sie letztlich niemanden brauchen, um in Ihre Kraft zu gehen? Um darauf zu vertrauen, dass Sie kein hilfloses Opfer (mehr) sind. Dass genug Bär in Ihnen steckt, Ihrem Namen alle Ehre zu machen? Bastian heißt nicht umsonst der Ehrwürdige, der Erhabene.
Lieber Bastian Berenfänger, Sie haben den ersten Schritt getan und öffentlich um Hilfe gebeten. Darauf können Sie stolz sein. Nun wünsche ich Ihnen, dass Sie auch den zweiten Schritt gehen. Dafür wünsche ich Ihnen Freude und viel Erfolg.
Beste Grüße
Ihr
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