Die FAZ fragt „Müssen wir bald alle gendern?“ – und offenbart mit dieser Formulierung das eigentliche Problem. Es geht nicht darum, ob wir gendern müssen. Nein, es geht darum, dass wir gendern dürfen. Gendern ist ein Akt der Freundlichkeit, der Höflichkeit, des Respekts und der Wertschätzung.
(By the way… Wen genau meint die FAZ eigentlich mit “wir”…)
Vielleicht mögen Sie sich an Ihren letzten Besuch in einem Seminar erinnern. Ich für meinen Teil frage zu Beginn meiner Seminare immer, wie ich meine TeilnehmerInnen ansprechen darf: siezen oder duzen? Ich mache das, weil ich mir wünsche, dass sich die Menschen bei der Arbeit mit mir wohlfühlen.
Man kann das auch gute Gastgeberschaft nennen. Die Haltung, die dieser Art of Hosting zugrunde liegt, zielt genau darauf ab: Meine Kommunikation, meine Sprache so zu wählen, dass sich jeder genauso wie er/sie ist, gesehen und willkommen fühlen kann.
Art of Hosting zielt also auf die Ebene der Identität ab. Wer bist Du? Mann, Frau, Beides, Schwuler, Trans*, Lesbe, Christ, Moslem, Jude, Kölner, Münchner usw. usw. Wer aber sich wie und als was oder wer identifiziert, entscheiden alle Menschen für sich selbst ganz alleine. Jedes „Du bist ein…“ hat das Potenzial für Missverständnis und Zurückweisung. Wie eine kommunikative Botschaft ankommt, entscheidet immer der Empfänger; nie der Sender. Der Kontext ist entscheidend und nicht das, was ich meine.
Wie schön also, dass wir eine Sprache haben, …
- … die es uns erlaubt, unserem Wunsch nach Freundlichkeit Ausdruck zu verleihen
- … die es uns erlaubt, zu experimentieren, bis wir sprachliche Formen gefunden haben, die uns allen in Fleisch und Blut übergehen
- … Die es uns erlaubt, zu gendern
Der Aufschrei gegen das Gendern ist somit bloß ein Symptom. Eine logische Konsequenz. Denn wenn wir alle gegenüber allen Identitäten gleichermaßen respektvoll wären und auf Diskriminierung verzichten würden, bräuchte es gar keine Vorgaben, Verordnungen, Richtlinien. Wenn wir alle zu allen freundlich wären, gäbe es kein Müssen im Gendern.
Ein Beispiel aus dem wahren Leben: Heute morgen wurde ich Zeuge, wie eine Dienstleisterin einen männlichen Kunden, der weiblich gekleidet war, ganz unprätentiös fragte: „Darf ich Sie Frau Müller oder Herr Müller nennen?“ Ohne Grimm, ohne falsche Scham. Dadurch, dass sie ihm/ihr diese selbstverständliche Freundlichkeit gewährte, konnte er/sie ganz leicht antworten: „Wie Sie es möchten. Mir ist beides recht.“ Sie gab ihm/ihr keinen Grund, sich zu beschweren; keinen Anlass, um über Sprache zu streiten. Denn ihre innere Haltung war voller Wertschätzung und offenbarte sich auch in ihrer Sprache.
Also, liebe FAZ und alle anderen, die meinen, dass Gendern eine Zumutung sei: Entscheiden Sie sich einfach, Ihre Perspektive zu ändern. Wählen Sie nicht länger „Ihr gutes Recht“ oder irgendwelche linguistischen und sprachästhetischen Normen und Spitzfindigkeiten als Kompass – wählen Sie lieber Freundlichkeit und gute Gastgeberschaft als Grundlage ihres Handelns:
- Freundlichkeit schenken statt Recht nehmen
- Respekt statt Egoismus
- Verbindung statt Spaltung
- Ausprobieren statt Ablehnen
- Systemisch statt linear
- Gastgeberschaft statt Ich-Will-Aber
- Neugierig verspielt statt verbohrt vertrocknet
- Kontext-bezogene Gesprächskultur statt normativem So-Muss-Es-Sein
Schwups, wird die Welt ein wenig besser.
PS. Und wenn Sie jetzt trotz dieses Plädoyers für Freundlichkeit und Wertschätzung mit Wut und Ärger in Kontakt kommen, dann kommen Sie doch einfach ins Coaching, und wir klären das, damit es Ihnen schnell wieder besser geht…