Lucie (45)
„Ich arbeite seit 20 Jahren im selben Unternehmen. Vor etwa 7 Jahren hat die Abteilungsleiterin gekündigt und ich habe Ihre Aufgaben mit übernommen. Dazu dann auch noch nach und nach neue Aufgaben und habe viel Verantwortung. Aber ich werde einfach nicht befördert und bekomme nicht mehr Geld. Bei Gesprächen wird immer fadenscheinig rausgeredet oder versprochen und nicht gehaltenen. Es wurde aber eine Kollegin am anderen Standort eingestellt, die ich eingearbeitet habe. Allerdings 2 Stufen über mir. Woran liegt das? Kündigen möchte ich nicht, da ich die Arbeit sehr mag. Nur der Konflikt mit meiner Chefin über das Gehalt belastet mich sehr. Die redet immer davon, dass ich ihr Star bin, und fachlich muss sie sich auch auf mich verlassen. Aber sie verweigert die Belohnung für Entwicklung und Einsatz. Was sende ich ihr unbewusst? Haben Sie eine Idee?“
Liebe Lucie, ich kann gut nachvollziehen, dass Sie diese Situation sehr belastet. Zwanzig Jahre lang – ein halbes Leben, ein ganzes Berufsleben – viel zu geben und nur wenig zu nehmen, frustriert und verunsichert.
Sie fragen, was Sie unbewusst senden – ich denke, Sie senden eine glasklare Botschaft:
„Mit mir kann man’s ja machen.“
Ganz gleich, wie groß die Ungerechtigkeit auch ist: Sie kündigen nicht. Ganz gleich wie lang der Zeitraum der Demütigung auch ist: Sie verharren treu und loyal.
Wenn ich mich für einen Moment in die Rolle Ihres Arbeitgebers versetze und von dort auf meine Mitarbeiterin schaue, die sich seit über einem Dutzend Jahre bereitwillig schlecht behandeln lässt, dann ist mein Gedanke ebenfalls glasklar:
„Wieso sollte ich ihr mehr Geld geben? Sie leistet ja auch für wenig Geld sehr viel. Ist doch perfekt!“
Liebe Lucie, ich könnte mir vorstellen, dass Sie einem Missverständnis aufsitzen. Eine Gehaltserhöhung ist keine Belohnung für fleißige Bienchen sondern eine Investition in die Zukunft.
Ein Arbeitgeber wird nur dann mehr Geld zahlen, wenn es für ihn einen Verlust bedeuten würde, ansonsten einen Mitarbeiter zu verlieren, den er dringend braucht.
Ein superteurer Fußballstar bekommt nicht deshalb ein so hohes Gehalt, weil er in der Vergangenheit viele Tore geschossen hat, sondern weil sein Club hofft, dass er ihm in Zukunft mehr Erfolg bringt.
Hinzu kommen zwei weitere Aspekte:
- Der Prophet zählt im eigenen Lande nicht viel. Soll heißen, die Leistungen werden am angestammten Ort oft nicht angemessen gewürdigt, weil die Beteiligten immer noch die Person vor Augen haben, die vor langer Zeit mal bei ihnen anfing. Und die war damals eben noch nicht so gut wie heute. Eine blöde mentale Blindheit, für die Sie nichts können.
- Zudem zeigen viele weibliche Führungskräfte sexistisches Verhalten gegenüber weiblichen Mitarbeitern. Für Frauen ist es oft schon schwer genug, sich gegen Männer durchzusetzen. Aber sich als Frau gegen eine Frau durchzusetzen, die sich ihrerseits gegen Männer durchgesetzt hat, kann die Hölle sein. Auch das ist ein psychologischer Effekt. Frauen betrachten Frauen immer noch viel zu oft als Konkurrentinnen im Kampf um das statushöchste Männchen – anstatt sich im Sinne einer Sisterhood zu fördern und zu unterstützen.
Sie sind jetzt 45 Jahre alt und arbeiten seit 20 Jahren dort, wo Sie arbeiten. Und Sie sind unglücklich. Wie lange halten Sie das noch aus? Wie viele Jahre geben Sie sich noch, bis Sie eines Morgens aufwachen und voller Reue und Selbsthass in den Spiegel schauen und denken: „Hätte ich doch…!?“
Abschließend noch etwas: Sie schreiben, dass Sie Ihre Arbeit sehr mögen. Daraus schließe ich, dass Sie denken, dass nur dieser eine Arbeitgeber eine mögenswerte Arbeit für Sie bereit hält… Sie wissen, dass das Unsinn ist!
Wähle und zahle den Preis…
- Wenn Sie bleiben, gewinnen Sie die Sicherheit einer Arbeit, die Sie kennen und mögen.
- Wenn Sie gehen, gewinnen Sie mehr Geld und Anerkennung plus die Chance auf eine Arbeit, die Sie mögen.
- Wenn Sie bleiben, zahlen Sie mit Frustration bis zur Rente und einer unattraktiven Ausstrahlung.
- Wenn Sie gehen, zahlen Sie mit Unsicherheit über das, was kommt.
Welchen Preis zahlen Sie lieber?
Liebe Lucie, ich wünsche Ihnen von Herzen, dass Sie eine Entscheidung treffen, mit der Sie gut leben können.
Ihr
PS. Allen Fragen und Antworten finden Sie wie immer hier