Männer wollen immer alle nur das Eine: Wissen, wie sie ein richtiger Mann werden. Diese Sehnsucht ist die Basis aller Angebote in der Männerarbeit: Seminare, Camps, Kongresse, Pick-Up usw. Mit dem Versprechen, auf diese Frage eine Antwort samt Umsetzungsplan zu liefern, kann man eine Menge Geld verdienen. Doch leider ist schon die Frage falsch gestellt und bisweilen nur Anlass für Geldschneiderei.
„Wie werde ich ein richtiger Mann?“
So zu fragen impliziert, dass ein Mann auch ein falscher Mann sein könnte oder sogar – schlimmer noch – gar kein Mann. Was für ein Quatsch! Ein Mann ist ein Mann ist ein Mann… Weder muss er erst einer werden noch dazu gemacht werden. Gesund, angemessen und menschenfreundlich wäre stattdessen der Satz: „Ich bin als Mann richtig!“
Dennoch steckt in dieser Frage ein Korn Wahrheit. „Mann“ ist eine Kategorie, die in einem einzigen Wort Eigenschaften, Denk-, Rede- und Verhaltensweisen bündelt, die eine Gesellschaft von Menschen erwartet, die sie als “Männer” bezeichnet. Wenn ich meine, ein Mann werden zu müssen, formuliere ich Zweifel, dass ich den Anforderungen meines Umfelds nicht genüge und etwas dafür tun möchte, dass bereits richtige Männer mir irgendwann bescheinigen, ok zu sein. Wenn ich aber meine, als Mann richtig zu sein, bin ich schon jetzt ok, auch ohne dass mir das irgendein selbst ernannter Supermann gegen viel Geld erst bescheinigen muss.
Natürlich kann ich als Mann auch unreif sein, kindisch, schlecht, hinterhältig, egoistisch, böse usw. All das hat aber nichts damit zu tun, ob ich überhaupt ein Mann bin, ob ich ein richtiger Mann bin. Richtig und Falsch sind schlicht keine angemessenen Kategorien, einen Menschen in seiner Identität zu beurteilen.
„Wann ist ein Mann ein Mann?“
Diese Frage wird nach dem oben Gesagten sofort überflüssig und kann ersetzt werden durch die Frage „Wann bin ich als Mann zufrieden?“ So zu fragen eröffnet Raum für mehr Lebensfreude und Gesundheit, erfüllendere Arbeit, bessere Beziehungen und besseren Sex.
„Was ist männlich?“
Antworten auf diese Frage bekommen Jungs vom ersten Atemzug an – egal ob sie danach fragen oder nicht. Jeder Junge kennt den Schrecken, wenn ihm sein Umfeld klar macht, dass das, was er da gerade tut, mag, sagt, zeigt, aus Sicht der Anderen nicht männlich sei. Und er kennt die Angst davor, dass das wieder geschehen könnte. Dabei liegt die Alternative für diese Frage so nahe: „Alles, was Du als Mann tust, denkst und sagst, ist männlich – eben, weil Du es als Mann tust, denkst und sagst!“ Punktum. Dieser Satz öffnet den Raum für wirklich relevante Fragen: Was ist anständig? Was ist sinnvoll? Was bringt mich weiter? Was hilft meiner Gemeinschaft? Was bringt mich einem guten Leben näher? Usw.
Gleichzeitig ist es wichtig, Jungen Antworten auf ihre Frage anbieten, was männlich ist, wie sie ein Mann werden. Unbedingt. Aber wir könnten das, was männlich sein könnte, viel weiter fassen als das eingeschränkte Bloß-Nix-Fühlen, das heute noch weitgehend unsere Kultur der Männlichkeit prägt.
„Wie optimiere ich mein volles Potenzial?“
Ja, das ist eine berechtigte Frage, UND sie wird zum Horror, wenn ich nur darauf schaue. Als Mann, als Mensch, bin ich nicht nur alleine auf der Welt. Ich bin nicht nur ein Ich, sondern immer auch ein Du und Teil eines Wir. Und da es im Leben immer und überall auf Balance ankommt, könnte ich auch fragen: „Wie gebe ich für die Gemeinschaft mein Bestes?“ Damit hätten wir alle die Chance, immer seltener unter schlechten Männern leiden zu müssen. Unter Männern, die das Klima, die Politik, die Wirtschaft und ihre Beziehungen vergiften. Wer danach strebt, der Gemeinschaft sein Bestes zu geben, wird immer auch auf sich selbst achten, denn sonst würde er sich rasch erschöpfen. So profitieren alle: Der Einzelne und die Gemeinschaft.
„Wo finde ich die männliche Essenz?“
Eine beliebte Frage in vielen Männerkreisen. Sie behauptet, dass es etwas gäbe, das per se männlich sei – unabhängig von Kultur, Zeit, Ort usw. Ehrlicherweise aber muss man(n) zugeben, dass es so etwas nicht gibt. Im Gegenteil! Sobald man anfängt, einzelne Eigenschaften, Fähigkeiten, Denk-, Rede- oder Verhaltensweisen als absolut zu setzen, also essentialistisch zu nennen, steht man schnell mit beiden Beinen im Rassismus, im Sexismus, im Totalitären (so wie beim unsäglichen „Den Schwarzen liegt die Musik im Blut“).
Auch hier gilt: Mit der Behauptung, es gäbe eine männliche Essenz und jemand wisse, was das ist und wie man sie findet, lässt sich trefflich Geld verdienen. Solche Veranstaltungen bieten oft auch viel Gutes und tiefgehende, wertvolle Erfahrungen, aber eine Essenz wird man(n) dort nicht finden. Besser also, man würde sich fragen: „Wozu verharre ich in Stereotypen, statt in meiner eigenen Art zu männlichen?“ Wichtig: Stereotypen sind wichtig! Sie bieten Orientierung. Aber nur eine erste Orientierung (vor allem für Jungs und Teenies) – keine ewige Wahrheit.
Ein Denken in Essenzen birgt eine Gefahr. Eine Essenz benennt immer einen höchsten, wichtigsten, größten, bedeutendsten Wert – und ordnet alle anderen Werte als weniger wertvoll unter. So wäre ein Denken in Essenzen in Bezug auf Männlichkeit für Männer ein Verlust von Freiheit – der Freiheit, dass ich als Mann selbst entscheide, welcher Wert, welche Tugend, welche Qualität für mein individuelles Männlichen am Wichtigsten ist (verbunden mit dem Zwang, dass sich das auch niemals ändern dürfte). Aber wenn man mit Männern spricht, so nennen sie paradoxerweise fast immer Freiheit als ihren wichtigsten Wert…
Also: Simone de Beauvoir sagte einst „Man wird nicht als Frau geboren, man wird zur Frau gemacht.“ „Frau“ ist in diesem Sinne – genau wie “Mann“ – ein Bündel aus gesellschaftlichen Ansprüchen, Vorstellungen, Zwängen, Vorurteilen usw. Ohne solche kulturellen Zuschreibungen werden wir vielleicht niemals leben – aber wenn wir sie als solche erkennen, kann unser Leben und Zusammenleben schon jetzt erheblich freudvoller und zufriedener werden. Als Mann, als Frau und als alles andere.
Bilder: Mirène Schmitz (Portrait oben) und Torsten Brandt (Männerfiguren)