„Berenfänger, gib uns Tools!“, lautet bisweilen der verzweifelte Ruf entnervter Führungskräfte. „Wir brauchen bessere Kommunikations-Methoden!“, flehen Paare in der Paarberatung. Mein Kopf und meine Praxis-Bibliothek sind zum Bersten gefüllt mit Tools und Methoden – UND ganz oft sind sie genau das, was die Ratsuchenden nicht brauchen: Noch mehr Technik, noch mehr Pläne. Stattdessen brauchen Sie bessere Beziehungen.
Bessere Beziehungen zu sich selbst, zu ihren Partnern und MitarbeiterInnen, zur Welt. Erst, wenn die Beziehungen tragfähig sind, können auch die Tools und Methoden ihre Wirkung entfalten.
Der Gute Draht, die Therapeutische Allianz, die Qualität der Bindung: Zwischen Coach und Klient, zwischen Führungskraft und Mitarbeiter, zwischen Partnerin und Partner, zwischen Eltern und Kindern.
Deshalb ist es ja so schwierig, genau zu definieren, was einen guten Coach ausmacht. Es gibt ganz wunderbare Coaches mit wenig von dem, was eine Vita beeindrucken lässt – und es gibt ganz schreckliche Coaches, deren Wände mit Zertifikaten und eigenen Büchern gepflastert sind. Für Therapeuten gilt das gleiche.
Wenn Sie mit dem Gedanken spielen, Coaching oder Therapie zu buchen, bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als diesem weitgehend ungreifbaren Phänomen nachzuspüren: Spüren Sie eine Verbindung zu dem Menschen, dem Sie sich anvertrauen wollen – oder nicht? Und zwar binnen der ersten 20 Minuten! Wer das als Profi nicht drauf hat, ist kein Profi! Und sollte sich der Gute Draht mit der Zeit auflösen, sprechen Sie es an, oder gehen Sie zu jemand anderem.
Hier habe ich schon mal darüber geschrieben, und nachfolgend finden Sie einen Auszug aus einem Medizin-Journal zu diesem Thema:
„Viele psychische Erkrankungen bessern sich einfach durch Zuwendung, durch Gesprächsmöglichkeiten, dadurch, dass Patienten sich ernst genommen fühlen. In diesen Studien passiert genau das: Patienten stehen in engem Kontakt mit dem Studienpersonal, das ist deutlich mehr als im klinischen Alltag oder in der Arztpraxis. Die Patienten werden jeden 2. Tag befragt, zumindest telefonisch, sie werden untersucht, es wird ihnen Blut abgenommen, die erhalten eine Diagnose – dieses „gesehen und ernst genommen fühlen“ kann bei vielen psychischen Erkrankungen auch zur Besserung beitragen. (…)
Depressionen und generalisierte Angsterkrankung haben einen geringeren biologischen Anteil. Auslöser können frühere Erfahrungen und auch aktuelle Belastungen sein. Beide Erkrankungen kann man sehr effektiv mittels Psychotherapie behandeln, das ist gut erforscht. Der wichtigste Wirkfaktor ist dabei nicht das spezifische Therapieverfahren – z.B. eine bestimmte Form der Verhaltenstherapie oder der Psychoanalyse –, sondern die stabile therapeutische Beziehung. Dass jemand da ist, der Vertrauen und Sicherheit gibt, bei dem man ernst genommen wird und nicht Vorwürfe wie „jetzt reiß Dich mal zusammen“ oder „warum hast du denn immer Angst, ist doch alles ungefährlich“ zu hören bekommt. Genau diese Zuwendung findet auch innerhalb dieser Studien statt. (…)
Wenn man ein echtes Medikament gibt, ist es bedeutsam, dies in einen guten Rahmen einzubetten, damit man diese großen Placebo-Effekte auch mit abholt – und nicht nur auf den relativ kleinen chemisch-pharmakologischen Effekt setzt. Das gilt zumindest für die Antidepressiva.
„Guter Rahmen“ bedeutet genau das was, was in den Studien praktiziert wird: Zuwendung, regelmäßige Kontakte, verlässliche Beziehungen, ernst nehmen, aufklären, informieren, Hoffnung spenden. Einen solchen Rahmen brauchen gerade die Antidepressiva, damit sie überhaupt eine nennenswerte Wirkung entfalten. Eine Depressionsbehandlung, die daraus besteht, dass ein Rezept ausgehändigt wird mit den Worten „eine Tablette morgens, kommen Sie in 6 Wochen wieder“, ist ein Kunstfehler.“
Fotos: Mirene Schmitz (Titel), Torsten Brandt (Stein)