Folgende Situation hat sich gerade zugetragen: Auf einer Kölner Karnevalssitzung hat ein Büttenredner Witze über Doppelnamen gemacht. Plötzlich stürmt eine Frau aus dem Publikum nach vorne, stellt sich vor den Redner und beschwert sich über dessen Witze.
Später gibt sie zu Protokoll: „Ich finde es total diskriminierend, wenn ich als Frau beschimpft werde, weil ich den Namen meines Mannes annehme und dadurch einen Doppelnamen habe.“ Sie selbst trägt einen Doppelnamen.
Ich fand diesen Vorfall skurril und belustigend und hinterließ einen entsprechenden Eintrag auf Facebook. Daraufhin stellte man mir die Frage: „Ich verstehe Deine Belustigung nicht. Erklär sie mir doch bitte.“
Zuerst wollte ich mit einem kurzen Spruch antworten, aber dann wurden mir zwei Dinge klar: Ein solcher Dialog kann in einem Medium wie Facebook nur in wütender Eskalation münden – und ich erkannte, dass hinter meiner Belustigung viel mehr Gedanken steckten, als dass sie in einen Facebook-Kommentar passten.
Daher schreibe ich nun hier – in meinem Blog – darüber.
1.) Wenn man einen Witz erklären muss, hat er bereits verloren. Entweder kann man über einen Witz spontan lachen – oder nie. Man kann zwar die Struktur eines Witzes offenlegen und erläutern, aber deswegen wird niemand darüber lachen. Ein Witz muss direkt in die Zehn des Humorverständnisses des Zuhörers treffen, oder er versandet in Stille.
Deswegen werde ich hier nicht versuchen, den Witz zu erklären.
2.) Wenn ich morgen im Seminarraum meine Teilnehmer begrüße, und einer trägt einen Doppelnamen, so wäre es völlig undenkbar, unangemessen und unverschämt, mich über den Doppelnamen lustig zu machen. Und nicht erst ein Lustig-Machen wäre beleidigend sondern bereits die kleinste wertende Bemerkung.
Es gibt also offenbar den Aspekt des Ortes. An einem Ort, in einem Setting, in einem Rahmen kann lustig sein, was im anderen undenkbar wäre.
3.) Karneval wird gerne als Ausnahmezustand bezeichnet. Darin steckt das Bewusstsein, dass diese fünfte Jahreszeit mehr ist als ein Anlass zu Verkleidung und Besäufnis. Karneval ist ein Ritual; klarer Anfang, klares Ende, klare Inhalte. Karneval ist ein ritualisierter Raum, Dinge zu tun und zu sagen, die während des übrigen Jahres unterdrückt, kleingehalten und sublimiert werden. Im Karneval ist erlaubt und erwünscht, was ansonsten als peinlich, taktlos, unverschämt, kindisch, albern, dreckig, zotig, spöttisch abgelehnt wird. Im Karneval singen wir Lieder mit einfältigen Texten und Melodien, wir küssen und tanzen mit seltsamen Menschen, wir spotten über Schwächen und Eigenarten – und wir lachen über Witze, die gerne auch mal einfallslos sein können. Im Karneval sind Dinge unterhaltsam, die im ganzen Rest des Jahres nicht mal ein müdes Gähnen hervorriefen.
Der Mensch ist nicht nur kultiviert, zivilisiert, korrekt, sauber und höflich. Er hat ebenfalls das Bedürfnis, dreckig, derb, fies, anstößig, verdorben und albern zu sein. Kultur und Natur. Beides. Mit dem Karneval gönnen sich die Menschen ein Ventil, durch den der Druck eines Lebens in einseitiger politischer Korrektheit und höflicher Sublimierung laut und lustvoll entweichen kann.
4.) Die Kritikerin warf dem Büttenredner vor, dass er sie „als Frau beschimpft“. Hier hat eine Verschiebung stattgefunden, in deren Folge kein Humor mehr möglich ist. Der Redner hat einen Witz gemacht – die Zuhörerin hat dies als Beschimpfung interpretiert. Der Redner hat über den Namen eines Menschen gewitzelt – die Zuhörerin sah den Mensch verspottet. Obendrein zog sie noch eine Verbindung zu ihrem Geschlecht – ein Aspekt, der in diesem Zusammenhang unerheblich war.
Durch diese Verschiebung bremste die Kritikerin jegliche Möglichkeit aus, die Situation mit Humor zu nehmen. Sie wurde wortwörtlich zur Spaßbremse.
5.) Humor ist, wenn man trotzdem lacht, heißt es. Humor ist die Fähigkeit, gerade auch die Dinge leicht zu nehmen, die schwer, leidvoll, anstrengend oder gar böse sind. Man denke nur an den jüdischen Humor und seine Fähigkeit, über die Schrecken des Antisemitismus zu lachen.
Die Kritikerin hat sich einst entschieden, sich einen Doppelnamen anzueignen. Diese Entscheidung hat, wie jede Entscheidung, einen Preis. Sie demonstriert einerseits die Gleichzeitigkeit von liebevollem Wir und selbstbewusstem Ich – und sie birgt andererseits das Risiko, ein Wort zu kreieren, das lustig klingt. Und der Doppelname dieser Kritikerin hat einfach das Potenzial, in den Ohren vieler Menschen lustig zu klingen. Das kann man zum Anlass nehmen, sich diskriminiert, beleidigt und gekränkt zu fühlen – man muss es aber nicht. Man kann sich auch entscheiden, es mit Humor zu nehmen und damit Aspekte wie Leichtigkeit, Freude und Entspanntheit zuzulassen. Aspekte, die unzugänglich sind, wenn man sich entscheidet, sich als Person zurückgesetzt zu fühlen.
6.) Das Setting war klar und ritualisiert. Der Redner steht auf der Bühne, die Zuhörer sitzen im Saal. Der Redner hat die Macht, von der Bühne aus auszuteilen. Die Zuhörer haben die Macht, gebündelt zu schweigen oder zu buhen. Aber beide Seiten bleiben getrennt und in ihrem jeweiligen Raum. Das erst ermöglicht das Reißen von Witzen und das Lachen über Witze, ohne dass es zu Gewalt kommt, sobald sich jemand verunglimpft fühlt.
Die Kritikerin hat dieses Setting aufgebrochen. Sie hat sich nicht darauf beschränkt, von ihrem Platz aus zu pfeifen – sie ist in den anderen Raum eingebrochen. Sie stört das Ritual und bringt das Momentum der Gefahr ins Geschehen. Eine Karnevalssitzung ist, selbst wenn sie unterirdischste Sprüche hervorbringt, eine Kulturleistung, die Haltung verlangt, denn in dem Moment, in dem ein Büttenredner fürchten muss, wegen eines Witzes körperlich angegangen zu werden, ist die Karnevalssitzung tot. Es gibt kein Dazwischen. Die Kritikerin hat hier in unverantwortlicher Weise eine Grenze überschritten.
7.) Wir alle neigen dazu, Dinge persönlich zu nehmen. Aber man kann es nicht oft genug sagen: wir sind nie persönlich gemeint! Wer einen Spruch macht oder einen Witz reißt, der sagt etwas über sich, der macht eine Selbstaussagezu seinen Werten, Überzeugungen und Prinzipien. Natürlich kann man andere Werte vertreten und das artikulieren – das ist aber etwas anderes als sich persönlich gemeint zu fühlen. Letzteres ist ein Akt der Selbsterhöhung und eines überzogenen Sich-Wichtig-Nehmen.
Jedem von uns passiert es, dass wir etwas persönlich nehmen. Wie alle sind auch nur Menschen und nehmen uns gerne wichtig. Aber dann ist es geboten, einen Schritt zurückzutreten und nicht gleich zurück zu schießen, indem wir einen auf beleidigt, gekränkt oder zornig machen. Die Kritikerin ist nicht nur nicht einen Schritt zurückgetreten – sie ist sogar wortwörtlich nach vorn getreten. Das war in seiner Egozentrik unangemessen.
Das alles schoß mir durch den Kopf, als ich von dem Ereignis in Köln hörte. Und ich entschied mich, das Verhalten von Frau M.-H. nicht blöd sondern belustigend zu finden…
Kölle Alaaf 🙂
#steltergate