Im SPIEGEL vom 16.2.2019 gibt es ein Interview mit Kardinal Gerhard Müller, in dem Müller die Möglichkeit bekommt, unwidersprochen Menschen abzuwerten, die anders denken als er. Dazu nutzt er rhetorische Wendungen, die gleichzeitig geschickt und infam sind.
Ich persönlich finde es schade, dass der Interviewer die schwarze Rhetorik des Kardinals nicht aufdeckt und den Leser mit ihr alleine lässt. Deshalb mache ich das hier.
Müller bezeichnet den Gedanken, dass die Übergriffe und Vergewaltigungen durch Priester keinesfalls strukturelle Ursachen hätten. Ein solcher Gedanke sei ein „monströser Übergriff“. Mit dieser Formulierung vollzieht Müller regelrechtes Neusprech: Nicht die Taten der Priester und der sie schützenden Kirche sind der monströse Übergriff sondern die Kritik an den Tätern.
Es gibt jede Menge seriöse Untersuchungen über Missbrauch und Vergewaltigung innerhalb von Institutionen. Meines Wissens kommen alle Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass bestimmte Strukturen Missbrauch begünstigen, fördern und decken. Müller aber sagt, es gebe keine „empirischen Belege“ für eine solche „Theorie“. Müller lügt.
Müller sagt, „dass kein Mensch gottgewollt als Homosexueller geboren wird, wir werden geboren als Mann oder Frau.“ Damit behauptet er, den Willen Gottes zu kennen, und er spricht Homosexuellen das Mann-Sein ab. Beides kann man nur als arrogant, diskriminierend, lieblos, spaltend und verächtlich bezeichnen – genau das Gegenteil dessen, was Jesus mit seiner Frohen Botschaft verkündet hat.
Müller attestiert Deutschland einen „traurigen Geisteszustand“ und brandmarkt den Wunsch, die Kirche zu modernisieren, als „Progressismus“. Das sind persönliche Meinungen, aber Müller tut so, als wäre er mit seinen Diffamierungen kein hochmütiger Täter sondern ein armes Opfer: „Es ist nicht einfach. Mit Luther könnte ich sagen: ‚Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen!‘“
Müller behauptet, dass ein katholischer Geistlicher naturgemäß in einem „ständigen Kampf mit sich selbst“ stecken muss, wenn er katholischer Geistlicher sein will. Die Begründung lässt er offen. Kein Gedanke, dass das Priestertum vielleicht auch ein Beruf sein könnte, der Freude macht und Sinn stiftet und erfahren lässt.
Müller spielt rhetorisch das Spiel, das alle Diktatoren, Rechtsextremen und Faschisten spielen. Er spaltet (die katholischen Geistlichen) in Gute und Schlechte. Kein Zweifel, dass er sich auf der Seite der Guten, Richtigen wähnt – die anderen, die Bösen, nennt er Menschen mit einem „verdorbenen Charakter“. Keinesfalls habe Missbrauch durch katholische Geistliche etwas „mit dem Amt zu tun“. Mit diesem rhetorischen Kniff entbindet er die Kirche als Institution und System von jeglicher Mitschuld und vor allem von jeglichem Anspruch an Veränderung.
Im Kölschen gibt es einen raffinierten rhetorischen Kniff. Wenn man jemanden beleidigen will ohne sich dafür Ärger einhzuhandeln, sagt man „Do Aschloch – hätt isch jetz fast gesaach.“ Aber zum Glück hat man es ja nicht gesagt, also gibt es auch keinen Grund, ihm für diese Beleidigung eine zu pfeffern. Was hier noch lustig-charmant klingt, wird im Sprachgebrauch Müllers zur Rhetorik eines Feiglings. Auf die Frage, wen er für die vermeintliche „Verflachung des Christentums“ verantwortlich macht, weicht er aus: „Ich kann und will keine Namen nennen, auch wenn das vielen gefallen würde.“ Konkret heißt das, Müller wirft beschuldigende Vorwürfe in die Welt, bei denen klar ist, an wen er sie richtet, aber in dem Moment, wo er Farbe bekennen müsste, zieht er sich zurück, um sich unangreifbar zu machen. Feige eben.