Anonymus25 (49) fragt:
„In Kürze werde ich 50 Jahre alt und möchte endlich den Absprung vom Bürojob zu etwas Interessantem hin schaffen, einem Job, bei dem ich was (und mich selbst) bewege und der anderen dient. Aber mir fehlen die Idee und die Traute. Diese doch sehr unpersönliche Online-Bewerberei stößt mich ab. Können Sie mir aus all dem Wirrwarr etwas raten??? Vielen Dank.“
Lieber Anonymus25,
was Sie in Ihrer Frage andeuten, klingt tatsächlich ganz nach einem “Wirrwarr”. Und es klingt interessant: Ich bin mir sicher, dass diese Ver-Wirrung ihren Sinn hat. Dass es darin etwas gibt, was (endlich?) gesehen werden möchte. Seien Sie herzlich willkommen damit.
Sie werden in Kürze 50 Jahre alt. Für viele Menschen ist das mehr als nur eine Zahl, mehr als nur ein weiterer Geburtstag. Wer die 5 vorne hat, fühlt sich dem Alt-Sein oftmals näher als dem Jung-Sein. Wer jung ist, hat noch alle Möglichkeiten – wer alt ist, muss erkennen, dass nicht mehr alles möglich ist. Und dass manches, was möglich war, verpasst wurde.
Wenn die Zeit des Jung-Seins vorbei geht, ändert sich meist auch unser Blick darauf, was wirklich wichtig ist, und nicht selten landen wir bei Fragen, die unter der großen Überschrift Sinn geführt werden:
- Was treibt mich im Innersten an?
- In welchem Kontext empfinde ich Zugehörigkeit und Verbundenheit?
- Wie und wo erlebe ich Autonomie und Freiheit?
- Woraus schöpfe ich meine Kraft? Was ist meine Quelle?
- Womit mache ich die Welt ein wenig besser?
Sie schreiben, dass Sie gerne etwas „bewegen“ möchten. Darin klingt für mich eine Sehnsucht an, die jeden Menschen bewegt: wir möchten etwas bewirken, möchten selbstwirksam sein, möchten die Erfahrung machen, dass unser Wirken eine Auswirkung hat.
Nicht selten gerät dieses Bedürfnis, das uns ja von kleinauf antreibt, unter die Räder der Routine. Wir werden zum Rädchen im Getriebe, getrieben von den Zwängen des Geldverdienens im Käfig des Funktionierens. Das ist weder falsch noch schlimm, denn für den eigenen Lebensunterhalt zu sorgen und vielleicht noch für das Wohlversorgt-Sein einer Familie, ist in meinen Augen hochgradig sinn-voll.
Und doch…
Und doch gibt es in uns einen Raum, den wir irgendwann betreten wollen. Meist dann, wenn wir unsere Überlebensmittel gesichert haben. Wenn die materielle Sicherheit gewährleistet ist, und wenn wir uns ein stabiles soziales Umfeld geschaffen haben: dann öffnen wir die Tür zu dem Raum, über dem das Schild hängt „War das schon alles?“
* * *
„Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ heißt ein sehr erfolgreiches Philosophie-Buch, und der Titel deutet an, dass es vielleicht gar nicht so einfach ist zu sagen, wer wir sind. Dass wir vielleicht Facetten besitzen, die bislang noch nicht zum Vorschein kamen. Die abseits der Pfade liegen, die wir in den letzten dreißig Jahren betreten haben.
Lebensmitte. Fünfzigster Geburtstag. Rückblick und Bilanz. Träume und Trauer.
Lieber Anonymus25, in Ihrer Frage bitten Sie um einen Rat. Um einen Wegweiser aus dem Wirrwarr. Einen Rat mag ich Ihnen nicht geben, dafür kenne ich Sie viel zu wenig, eher möchte ich eine Einladung aussprechen.
Sie haben erkannt, dass Sie in einem Wirrwarr stecken, dass es da einen Ort gibt, wo Sie sich noch nicht so gut auskennen. Einen Ort, der vielleicht darauf wartet, nun endlich von Ihnen erforscht zu werden. Der einen wertvollen Schatz für Sie bereit hält: Klarheit über Ihre Stärken und Talente, über Werte und Ziele, über Motive und Bedürfnisse – und auch über Ihre Ängste und Sorgen, Hindernisse und Blockaden.
* * *
Natürlich könnten Sie sich jetzt irgendwo bewerben, aber wozu? Wenn wir nicht wissen, wohin wir wollen, ist es auch egal, welchen Weg wir wählen.
In Ihrer Lebensphase macht es aus meiner Sicht mehr Sinn, erst einmal im Innen für Orientierung zu sorgen – eine Neuorientierung im Außen ergibt sich dabei manchmal ganz von selbst. Oder wird plötzlich gar nicht mehr so wichtig.
Und auch hier gilt der Satz: Wähle, und zahle den Preis. Soll heißen: Wer abspringt, lässt festen Boden hinter sich. Begibt sich mitunter in den freien Fall. Der erhoffte Gewinn: Mehr Zufriedenheit. Der (oft verdrängte) Preis: Eine unbestimmte Zeit der Unsicherheit, des Statusverlusts, des Unverständnisses bei Familie und Freunden.
Das muss nicht so kommen – manchmal ist ein Befreiungsschlag tatsächlich eine schlagartige Befreiung. Damit aber die Chancen dafür möglichst hoch sind, ist es hilfreich, sich selbst möglichst gut zu (er-) kennen. Persönlichkeitsentwicklung vor Jobwechsel.
Lieber Anonymus25, ich mag Sie ermuntern, sich noch eine Weile in dem Wirrwarr aufzuhalten und die drängende (Antriebs-) Energie, die dort herrscht, zu nutzen, um sich intensiv mit sich selber auseinanderzusetzen, bevor Sie mit der „Bewerberei“ beginnen. Und ich möchte Sie darin bestärken, diesen Prozess nicht alleine zu machen. Eine erfahrene Begleitung – ob im Einzel- oder im Gruppen-Setting – macht die Reise zu sich selbst schneller, leichter und erfolgreicher.
Wie auch immer Sie sich entscheiden: Ich bin mir sicher, dass sowohl die „Ideen“ als auch die „Traute“ längst in Ihnen stecken; dass sie nicht mehr zugeführt werden müssen sondern nur freigelegt werden wollen.
Und in den Momenten des Zweifelns halten Sie kurz inne, und sprechen die vier Sätze „Es ist möglich – Ich verdiene es – Ich kann es – Ich bin es wert“
Viel Freude, viel Erfolg!
Ihr