Gerade fand wieder das große ZIPAT-Männerfest statt, und bald folgt der Männertag in Wuppertal und die MannSein in Berlin. Zeit also für ein paar grundsätzliche Gedanken zum Stand aktueller Männerarbeit und wie sie weitergehen kann.
Männerseminare und -trainings setzen heute im Kern auf das Modell der Polarität. Auf der einen Seite der Mann, auf der anderen Seite die Frau. Je klarer und eindeutiger beide in ihrem jeweiligen Pol beheimatet sind, desto größer pulsiert die Anziehungskraft zwischen ihnen.
Was für die sexuelle Attraktion gilt, wird in der aktuellen Männerarbeit dann nicht selten auf nicht-sexuelle Sphären ausgeweitet. Aus dem gleichwertigen Nehmen einer Frau, die sich hingibt (im Sex) wird ein Proklamieren einer ganz grundsätzlichen Überlegenheit des Mannes über die Frau – versehen mit dem Hinweis, dass die Frau nur dann mit dem Mann glücklich sein könne. Und dass ein ‘echter’ Mann gar nicht anders könne als nach Überlegenheit und einem Sein im ausgeprägten Pol zu streben.
In dieser Sichtweise von Polarität verfolgt der Mann als ultimatives Ziel seine Freiheit, während die Frau nach Nähe und Intimität strebt. Die Männer in den Männerseminaren lernen, dass ihr Streben nach Freiheit dem Streben der Frau nach Nähe diametral gegenübersteht. Und sie lernen auch, dass sie immer ihr eigenes Streben priorisieren müssen, um als Mann begehrenswert und respektabel zu sein.
Der Mann will also irgendwo hin. Wohin, weiß er oft nicht. Aber er fühlt sich frei, wenn er dorthin geht. Das Freiheitsstreben des Mannes im Sinne der Männerseminar-Denke ist ein Weg-Von-Der-Frau (auch wenn sich das in den Seminarbeschreibungen meist anders anhört); verbunden mit der Hoffnung, dass die Frau den Mann genau dafür liebt und begehrt (so dass er sich am Ende doch nicht von ihr entfernt).
Damit die Männer ihren Weg der Freiheit auch couragiert gehen, lernen sie, ihren inneren Krieger zu kultivieren, der sie unterstützt, Widerständen zu begegnen und diese mutig zu bewältigen. Sie lernen zwar auch den Archetyp des Liebhabers kennen, aber die Richtung bleibt bestehen. Immer der eigenen Freiheit hinterher.
Diese Sichtweise von Polarität ist wichtig, denn sie hilft den Männern, die die Entwicklungsphase des Sohnemanns noch nicht überwunden haben, zu reifen. Von Nettigkeit in Männlichkeit hineinzureifen. Zumindest hinsichtlich der sexuellen Ausstrahlung.
Diese Sichtweise von Polarität hat aber auch einen Fehler.
Sie behauptet, dass der Mann die ersehnte Freiheit in einem Außen findet. Damit aber zementiert diese Sichtweise das Unheil der Moderne: die gnadenlose Trennung und Frontstellung zwischen Mann und Frau, die am Ende immer in eine Überlegenheits-Phantasie mündet. Der Mann sei der Frau überlegen und wertvoller als sie. Die Folgen sind bekannt.
Im Sex ist ausgeprägte Polarität etwas Wunderbares – warum mündet sie im Alltag dann in etwas Unbrauchbares?
Die Männerseminare sehen die Freiheit des Mannes im Außen – sie liegt aber im Innern des Mannes. Der Mann will nicht einfach irgendwo ankommen. Der reife Mann will bei sich selbst ankommen. Denn in sich selbst wird er frei.
Das heißt, dass die Männerseminare nach der Kultivierung der bisherigen Archetypen (Krieger, Liebhaber, König, Mystiker und bisweilen noch Vater, Wilder Mann und Heiler) jetzt den nächsten Schritt gehen müssten:
Wenn der Mann wirklich frei sein will, muss er die eingangs geschilderte Polarität überwinden, indem er auch seine nicht-gelebten Anteile integriert. Seine Schatten. Konkret: seine Anima, den weiblichen Modus des Menschseins.
Häufig werden Männer belächelt und mit Häme bedacht, wenn sie ihrer Anima Raum geben. Zum einen liegt das an der Unreife der Beobachter, zum anderen geht dies aber auch nicht selten mit einer Ablehnung des Männlichen einher. Aber das ist mit der Integration der Anima nicht gemeint!
Der reife Mann, der das Weibliche integriert, lehnt das Männlich nicht ab – er kultiviert beides zugleich. Er lebt ein Und.
Deshalb besteht auch keine Sorge, dass ein reifer, integrierter Mann sexuell unattraktiv würde. Er besitzt weiterhin die Fähigkeit, zu gegebener Zeit ganz in seinen männlichen Pol zu gehen, um eine Frau zu überwältigen, die ihrerseits ganz in ihren weiblichen Pol geht. Diese Fähigkeit bleibt dem reifen Mann unbenommen.
Als reifer, integrierter Mann kann der Mann mit der Frau sein, ohne sich ihr überlegen fühlen zu müssen. Ohne eine Frontstellung aufbauen zu müssen. Er kann ganz und gar mit ihr sein und mit ihr verschmelzen und dann wieder ganz er selbst sein. Beides. Zugleich.
Zeit also für eine Evolution in der Männerarbeit. Die Grundlagen sind gelegt. Jetzt darf der nächste Schritt kommen.
Aho!