“Was ist gutes Coaching?” heißt der aktuelle Schwerpunkt des Fachmagazins “Praxis Kommunikation”. Meinen Beitrag dazu lesen Sie im gedruckten Magazin – oder gleich hier.
„Was muss ein Song haben, damit er uns richtig packt? Was ist ein perfekter Song? Und gibt es dafür eine Rezeptur?“
Dieser Frage ging im Frühjahr eine Arte-Doku nach und erkannte: „Angeblich gibt es ein Rezept dafür (…) Die laufen alle nach den gleichen harmonischen Mustern: Die haben C-Dur, die haben G-Dur, die haben A-Moll, die haben F-Dur.“ Und doch: „Das Gesamtpaket ist letztlich nicht zu berechnen. (…) Es gibt also kein perfektes Lied. Es gibt viele Lieder, die super sind, aber sie sind nur perfekt in einem bestimmten Moment und in einer bestimmten Stimmung. Und nicht einfach egal wann.“
Die Suche nach dem perfekten Song könnte als treffende Metapher für die Frage dienen, was gutes Coaching ausmacht.
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„Berenfänger, gib uns Tools!“, lautet bisweilen der verzweifelte Ruf entnervter Führungskräfte. „Wir brauchen bessere Kommunikations-Methoden!“, flehen Paare in der Paarberatung.
Mein Kopf, meine Coaching-Bibliothek und ChatGPT sind zum Bersten gefüllt mit Tools und Methoden – und ganz oft sind sie genau das, was die Ratsuchenden nicht brauchen: Noch mehr Tools, noch mehr Konzepte. Stattdessen bräuchten sie bessere Beziehungen. Zu Anderen und vor allem erst einmal zu sich selbst.
Deshalb ist es ja so schwierig, genau zu definieren, was eine:n gute:n Coach ausmacht. Es gibt ganz wunderbare Coaches mit wenig von dem, was eine Vita beeindruckend aussehen lässt – und es gibt ganz schreckliche Coaches, deren Wände mit Zertifikaten und eigenen Büchern gepflastert sind. Für Therapeut:innen gilt das Gleiche.
Coaching entzieht sich dem einfachen Kausalzusammenhang, denn Coaching kann man nicht machen. Coaching ist nicht gut, wenn der oder die Coach gut ist. Coaching ist in erster Linie Beziehung – und erst in der Folge Tool und Technik. Für ein gelungenes Coaching können die Beteiligten nach Kräften sorgen, aber sie können es nicht machen, nicht kaufen, nicht fordern.
Angemessene Methodenvielfalt, hohes Kommunikationsgeschick und ein positives Menschenbild sind sicher die Mindestanforderungen für Coaches. Über das Was brauchen wir hier nicht zu reden.
Aus meiner Sicht ist vielmehr das Wann entscheidend! Wann wähle ich welche Intervention? Wann mache ich was, wie, wo, warum? Coaching kann dann gelingen, wenn Klient:innen einen bestimmten Impuls zur richtigen Zeit bekommen. Keine Intervention, kein Tool, kein Impuls ist per se gut. Sie können ihre Wirksamkeit (nur) dann entfachen, wenn sie genau zur richtigen Zeit am passenden Ort in angemessener Art und Absicht angeboten werden.
Timing ist alles. Coaches, die meinen, gut zu sein, nur weil sie viele Zertifikate besitzen, die sie bekommen haben, weil sie in einer Prüfung mal ganz viele Methoden vormachen konnten, tragen zum schlechten Ruf unseres Berufsstandes bei.
Ob der Zeitpunkt passend ist, hängt wiederum von vielen Aspekten ab – zum Beispiel von diesen beiden:
Was sagt der Körper der Klient:innen – und wie belastbar ist die therapeutische Allianz?
„Der Körper vergisst nicht. Wird die Erinnerung an ein Trauma im Körper in Form herzzerreißender und qualvoller Emotionen, Autoimmunkrankheiten und muskulo-skelettaler Probleme encodiert und ist andererseits die Kommunikation zwischen Geist, Gehirn und Körper der Königsweg zur Emotionsregulation, so müssen wir die Voraussetzungen unseres therapeutischen Handelns radikal überdenken und verändern.“
Der hier zitierte niederländische Psychiater Bessel van der Kolk kämpft darum, den Körper noch viel mehr in den Blick zu nehmen, da sich traumatisierte Menschen in ihrem Körper chronisch unsicher fühlen. Aber auch, wenn Klient:innen nicht mit einem Trauma, sondern nur mit starken mentalen Blockaden gegen anstehende Veränderungen zu kämpfen haben, so muss doch die Veränderung im Körper stattfinden!
Klient:innen müssen lernen, das Neue wortwörtlich zu verkörpern. Erkenntnis ist oft hilfreich und interessant, aber echte und nachhaltige Weiterentwicklung geschieht nicht allein in einem klugen Kopf. Herz, Bauch, Nervensystem, Atmung, Bewegung, Fähigkeit zum Spüren, Umgang mit Gefühlen – wenn Coaching wirklich gelingen will, muss der oder die Coach auch den Körper der Klient:innen in den Blick nehmen.
»Der Mensch ist in erster Linie ein fühlendes Wesen. Einen kognitiven Verstand haben wir auch noch, aber den Hut auf in Bezug auf Entscheidungen und Weiterentwicklung haben Körper und Emotionen. Das heißt, ein Coach kann noch so viel wissen und dieses Wissen eloquent und überzeugend kommunizieren – wenn er mit seinen Worten und Tools nicht berührt, kann sich der Klient kaum verändern.«
Körper ist im Übrigen auch dann von Bedeutung, wenn Klient:innen das neu Erkannte jenseits der Coaching-Praxis einüben sollen. Coaching misslingt, wenn der/die Klient:in an diese Erkenntnisse bloß denkt, aber nichts praktisch tut, um sie zu verfestigen und zu kultivieren. Just do it!
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Vielleicht gelingt es uns leichter, gutes Coaching zu definieren, wenn wir den Blick darauf werfen, was es definitiv nicht ist.
Erstens: Heilsversprechen
Um jede:n Coach, Trainer:in, Speaker:in gilt es, einen großen Bogen zu machen, der/die Glück, Reichtum, Liebe oder Heilung verspricht. Leider sind das genau diese Scharlatane, die Massen von Suchenden um sich scharen und um ihr Geld, ihren Selbstwert und möglicherweise sogar um ihre sexuelle Unversehrtheit bringen.
Ja, es wäre klasse, wenn alle Coaches vor Beginn einer Zusammenarbeit nicht das Blaue vom Himmel versprechen, sondern vielmehr dies fragen würden:
- Wie kannst du ein:e gute:r Klient:in sein?
- Wie wirst du dieses Coaching aktiv für dich nutzen?
Doch wer so fragt, riskiert, dass sich viele abwenden – denn Verantwortung zu übernehmen ist unbequem.
Zweitens: Verkaufsdruck
Wenn ein Coach einen Klienten drängt, wiederzukommen oder ein ganzes Paket an Sitzungen zu buchen, so handelt er nicht als Coach, der das Wohl des Klienten im Blick hat, sondern als Verkäufer, der das Wohl seines eigenen Bankkontos im Blick hat. Vertrieb gehört zum (Coaching-) Geschäft – ein moralisch integres Verhalten aber noch mehr!
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Perspektivwechsel.
Dr. Alica Ryba sagte in einem Interview: »Die Bereitschaft und Motivation des Klienten ist aus meiner Sicht das Fundament für den Behandlungserfolg. Erickson testete daher häufig die Motivation seiner Patienten, weil er diese als essenziell betrachtete«.
»Meiner Meinung nach gibt es keine guten oder schlechten Klient:innen. Es ist Aufgabe von Berater:innen, auf die individuellen Bedürfnisse, die vorhandenen Fähigkeiten und Merkmale ihrer Klient:innen einzugehen. Kurz: Klient:innen dort abzuholen, wo sie sind. Das geht natürlich nur, wenn der/die Klient:in offen und motiviert für den Beratungsprozess ist und entsprechend mitarbeitet.«
Und Dr. Noni Höfner schreibt: »Die drei Angstvermeidungsstrategien, die mir am wichtigsten erscheinen, sind die Feigheit, die Faulheit und die Fixierung.«
- Faulheit – der Wunsch, Energie zu sparen, auch wenn Veränderung nötig wäre.
- Feigheit – die Angst vor dem Ungewissen, die uns am Status quo festhalten lässt.
- Fixierung – starre Überzeugungen, die keinen Raum für Neues lassen („Ich bin halt so“).
Selbstverständlich gibt es keine guten oder schlechten Klient:innen – aber ohne ihr wirkliches Wollen können sich Klient:innen nicht weiterentwickeln.
Ein Coach kann eine Menge dafür tun, Klient:innen dort abzuholen, wo sie sind, und ihrer Lust auf Veränderung nicht im Wege zu stehen. Aber wenn sich ein:e Klient:in nicht verändern will – oder noch nicht kann –, dann nützt es auch nichts, wenn die ganze Fachwelt davon überzeugt wäre, dass der Coach gut sei und sein Coaching ebenfalls.
Anekdote: Ich erlebe es immer wieder, dass Klient:innen im Einzel- oder Paargespräch, mit privaten oder beruflichen Themen, in Coaching oder Seminar…
- … mit großen Erkenntnissen und ehrlicher Berührung weggehen; dann aber doch nicht ins Handeln kommen oder
- … sich erst beschweren, wenn es zu langsam geht – um sich danach zu beschweren, wenn es anstrengend oder intensiv war.
Veränderung ist unbequem. Sie kostet Zeit. Kraft. Geduld. Oft auch Geld. Gerade in einer Welt, die schnelle Life-Hacks bevorzugt, ist das für manche nur schwer zu akzeptieren. Besonders geballt tritt diese Haltung in großen Unternehmen auf. Die Führungsebene will Veränderung und schickt ihre Mitarbeiter:innen in umfassende Maßnahmen, aber wenn sich herausstellt, dass zuallererst der Fisch vom Kopfe stinkt und die Sonne vom Himmel scheint, ziehen sich manche „Chief-ofs“ still und leise zurück.
Veränderung ist anstrengend. Wenn sie das nicht wäre, bräuchte es kein Coaching. Dann reichten auch Selbsthilfe-Bücher, Apps oder gute Gespräche mit Freund:innen. Doch wer sich auf Coaching einlässt, hat genau das meist schon hinter sich – und merkt: Es braucht mehr. Mehr Tiefgang, mehr Reibung, mehr Begleitung. Denn echte Veränderung fordert nicht nur Erkenntnis, sondern auch Mut, Konsequenz und – ja – Durchhaltevermögen.
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Über zwanzig Coaching-Verbände gibt es allein in Deutschland. Sie alle haben sich auf die Fahne geschrieben, gutes Coaching zu definieren und sich auf eine bundesweit einheitliche Sicht auf dieses Thema zu einigen, einschließlich entsprechender Ausbildungen und Zertifizierungen. In diesen Verbänden sitzen kluge und erfahrene Fachleute – und doch gibt es bisher keine gemeinsame stringente Antwort.
Vielleicht ist genau das der Punkt. Vielleicht liegt die Kunst des Coachings nicht im klaren Regelwerk, sondern im souveränen Umgang mit seiner Unschärfe. Statt also nach der einen Antwort zu suchen, was gutes Coaching ist, könnten wir die bessere Frage stellen:
Wie schaffen wir es, im Zusammenspiel von Coach, Klient:in und Kontext wirksam zu bleiben – nicht obwohl, sondern weil wir akzeptieren, dass sich Veränderung nicht standardisieren lässt?
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Die Fotos zeigen Aussichten aus meinen Coaching-Büros in Bonn (Bilder von mir).
Das Portrait-Foto machte Julia Kamenik.
Hier können Sie das gedruckte Heft bestellen.
Im Text beziehe ich mich auf folgenden Quellen:
- Arte „Gibt es den perfekten Song?“ (Verfügbar bis zum 24/04/2028) https://www.arte.tv/de/videos/101940-009-A/gibt-es-den-perfekten-song/
- Harald Berenfänger https://www.berenfaenger.com/blog/allgemein/berenfaenger-gib-uns-tools/
- Harald Berenfänger in Praxis Kommunikation 5/2022, S. 13
- Bessel van der Kolk „Das Trauma in dir“, Ullstein-Verlag, 2023. S. 136
- Harald Berenfänger https://www.berenfaenger.com/blog/persoenlichkeit/ich-wuerde-mir-mehr-wissenschaftliche-ueberpruefbarkeit-wuenschen-coaching-durch-die-neurobrille-gesehen/
- Harald Berenfänger https://www.berenfaenger.com/blog/persoenlichkeit/ich-wuerde-mir-mehr-wissenschaftliche-ueberpruefbarkeit-wuenschen-coaching-durch-die-neurobrille-gesehen/
- E. Noni Höfner „Glauben Sie ja nicht, wer Sie sind!“, Carl-Auer-Verlag, 2023. S. 23







