Der innere Schweinehund, die Angst vor dem leeren Blatt, Prokrastination und Aufschieberitis. Den ersten Schritt zu tun fällt jedem schwer – manchen mehr, manchen weniger. Alle großen Heldengeschichten erzählen von dieser Schwelle, die den Alltag vom Abenteuer trennt. Die Schwelle, deren Überschreiten ein Risiko bedeutet. Ein Risiko, das unkalkulierbar ist, weil man noch nicht weiß, wie die Welt jenseits des Bekannten und Bequemen aussieht. Welche Gefahren und Entscheidungen dort auf einen warten. Welchen Preis man wird zahlen müssen. Welche Verletzungen einen vielleicht erwarten.
Eine Armada von Ratgeberbüchern, Vorträgen, Coachings und Seminaren sollen/wollen den Mutlosen helfen in die Gänge zu kommen. Doch was gut gemeint ist, stärkt nur zu oft den inneren Kritiker, der da brüllt: „Siehste! Du Null! Packst es nicht! Streng dich gefälligst an!“ Die Falle der Selbstoptimierungsüberforderung lauert überall…
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Ja, jeder von uns kommt an Wegscheidungen, wo man sich entscheiden muss. Wo voneinander geschieden werden muss, was nicht mehr gut zusammen passt. Banales wie die immer wieder aufgeschobene Steuererklärung genauso wie Existenzielles wie etwa die Frage, ob der Mensch, der da neben einem im Bett liegt, noch der richtige ist bzw. endlich der richtige sein könnte.
Nein, man ist nicht verkehrt und kein Versager, wenn es einem schwer fällt, Neuland zu betreten; sich in Gefilde zu begeben, die man nicht kennt und von denen man nicht weiß, wie sie einen herausfordern werden.
Aber – oft, sehr oft ist die Frage „wie entscheidest du dich denn nun endlich!?“ die falsche Frage. Die falsche, weil zu früh. Weil sie noch nicht dran ist.
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Wenig kann der Mensch so schlecht aushalten wie den Zustand von Ungewissheit. Ein ganzes Heer unangenehmer Gefühle steht Gewehr bei Fuß für diejenigen, die sich in diesem Schwellenraum aufhalten – in dem Raum zwischen alter Welt und neuer Welt; in dem Zwischenraum, in dem das Alte als veraltet und Neues als notwendig erkannt ist.
Angst, Unsicherheit, Hilflosigkeit, Trotz, Traurigkeit, Ärger, Frust, Wut und manches mehr hält dieser Raum für uns bereit, in dem wir uns schon nach dem Bisherigen, aber noch vor der Entscheidung befinden.
Wie gehen wir mit diesem fragilen Gemütszustand um?
- Die einen kehren um – mit einem lauten „So ein Qutasch!“, „Bringt doch eh nichts!“, „Kann nicht funktionieren“ oder „Schaff ich nicht!“ usw.
- Die anderen ignorieren ihre Vorbehalte einfach – und stürzen sich blindlings über die mentale Klippe und holen sich eine blutige Lippe.
Beide Vorgehensweisen haben gemein, dass man den Schwellenraum so schnell wie möglich wieder verlässt und dabei in Kauf nimmt, sich weh zu tun und die (nur dort) bereit stehenden Erkenntnisse links liegen zu lassen.
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Vor kurzem habe ich an einem Ritual teilgenommen, in dem es darum ging, sich selbst im Zustand des Schwellenraums wahrzunehmen und zu erforschen. Eingebunden in einen kraftvollen Rahmen mit 25 Männern stand ich um Mitternacht auf einer großen Wiese und sah zu, wie ein riesiger Stapel Holz mit lautem Getöse niederbrannte. Die in drei Stunden entstandene, heißglühende Kohle wurde mit Rechen und Mistgabeln zu einem Teppich ausgezogen: 5×2 Meter Glut aus mörderischer Hitze.
Wir standen darum herum, hielten uns an den Händen und gaben Ton. Diese Form – aufmerksam gespannte Männer, der Kreis, die Laute, die Dunkelheit, das Glühen, das stundenlange Nicht-Plappern – sorgte dafür, dass jeder gut mit sich in Kontakt kam. Mit sich und mit dem Feuer, das mit seiner unbändigen Kraft die Schwelle symbolisierte, an der jeder in diesem Moment seines Lebens stand.
Nun war der Raum eröffnet. Wer wollte, trat vor. Und dieses Wollen war kein Wollen des Egos. Kein trotziges oder eitles Ich-Will. Sondern mehr ein Etwas-Will-Dass-Ich-Gehe. Mit nackten Füßen trat ich an die Kante direkt vor den beißenden Teppich und damit mitten hinein in den Schwellenraum.
„Ob du über das Feuer läufst oder nicht, entscheidet sich erst, wenn du genau davor stehst“, lernte ich vorher, und genau so war es. Bis zu dem Moment, als ich barfuß vor der vielen hundert Grad heißen Glut stand, war alles nur kopflastiger Mindfuck, also ein Abwägen mit Argumenten und kein wirkliches Fühlen mit dem Herzen.
Erst auf der Schwelle änderte sich das. Ich erdete mich und band mich an an das, was größer ist als ich. Ich nahm Kontakt auf mit dem Feuer und erforschte, was in mir passierte in diesem Moment zwischen Sicherheit und Risiko. Und dann… Dann war da plötzlich kein Denken mehr sondern nur noch Fühlen; alle anderen und alles andere war komplett ausgeblendet. Visuell wie akustisch; im Innen wie im Außen.
Mit einem Mal spürte ich, das mich etwas zog. Etwas wollte und erlaubte mir, den Schritt in die Glut zu machen und über das Feuer zu laufen. Diesem Wollen gab ich nach und ging die fünf Meter zügig und wie selbstverständlich, bis ich den Kohlenteppich (gänzlich unverletzt) wieder verließ. Als ich mich umdrehte und mich vor dem Feuer verneigte, fühlte ich Dankbarkeit – und nicht etwa Stolz, von dem ich dachte, dass ich ihn nach einem solchen Erlebnis spüren würde. Nein, das Ego war für diesen kurzen Moment still und gab den Raum frei für etwas ganz anderes.
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Seit der Erfahrung des Feuerlaufs messe ich dem Raum zwischen dem So-Kann-Es-Nicht-Weitergehen-Gedanken und dem Du-Musst-Dich-Entscheiden-Anspruch eine viel größere Bedeutung bei. In Kontakt mit dem idealtypischen Archetyp des Kriegers kann ich seitdem leichter und mutiger dort „in Entschlossenheit verweilen“ (Walter Mauckner, Zipat, “Die Heldenreise”), von wo ich sonst so schnell wie möglich weg wollte, weil es mir so unangenehm war.
Und ich erkenne, dass dies auch etwas Entspannendes und Freundliches an sich hat. Denn natürlich muss ich weiterhin meine Entscheidungen treffen, aber ich darf mir mehr Zeit lassen dafür – Zeit, die es mir ermöglicht, viel genauer zu schauen, wohin es mich tatsächlich zieht und welche Aspekte alle gesehen werden wollen bei meinen Entscheidungen. Ich lerne mich dadurch in einer viel größeren Tiefe kennen.
Der Schwellenraum hat eine ganz eigene Qualität, wenn es darum geht, den ersten Schritt zu machen. Der erste Schritt ist gefühlt fast immer der schwerste, und wer sich die Zeit und den Raum nimmt, ihn in Achtsamkeit und Kontakt zu gehen statt in Furcht oder Hektik, der gewinnt große Kraft für seine weitere Ent-Wicklung.
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