Mia (38)
„Ich weiß nicht warum? Ich liebe es, mich von fremden Männern nehmen zu lassen. Im Internet gibt es Orte, wo ich hingehe, mir jemanden zu suchen, der mit mir machen kann, was er will. Manchmal sind es auch mehrere. Danach geht es mir dreckig. Dann kommt aber wieder mal Verlangen. Eigentlich will ich es nicht. Wie komme ich davon los?”
Liebe Mia,
erst einmal Respekt, dass Sie immer wieder den Mut und die Tatkraft aufbringen, aktiv für Ihre Lust zu sorgen. Sie warten nicht passiv ab, bis hoffentlich ein geeigneter Mann auf Sie zukommt, nein, Sie ergreifen regelmäßig selbst die Initiative!
Sie fragen nun, wie Sie davon loskommen? – Ich frage mich nun, wovon genau?
- Von den Treffen, die Ihnen so viel Lust bereiten?
- Von Ihrem Verlangen nach solchen Begegnungen?
- Vom Gedanken, solchen Sex nicht mehr zu wollen?
- Vom Sich-Dreckig-Fühlen nach dem Sex, nach dem Sie solches Verlangen verspüren?
Wir Menschen tun alles aus einer positiven Absicht heraus. Selbst in Verhaltensweisen, die anderen – oder uns selbst – seltsam erscheinen, steckt eine Motivation, die es zu respektieren gilt:
- Die Raucherin weiß um die gesundheitlichen Gefahren der Zigarette, aber die Absicht, für einen kurzen Moment Entspannung und Genuss zu empfinden, ist wertzuschätzen und völlig ok.
- Die Raserin auf der Autobahn weiß, wie sehr sie ihre Mitbürger und die Umwelt belastet – aber die Absicht, für einen Moment so etwas wie Freiheit zu empfinden, ist wertzuschätzen und völlig ok.
Welche positive Absicht motiviert Sie, sich von fremden Männern nehmen zu lassen? Genießen Sie die Freiheit, die eine solche Hingabe ermöglicht? Das Endlich-Nicht-Mehr-Denken-Müssen, wenn es für einen Moment nur noch um den Körper geht und nicht mehr um den Kopf? Die Lust am Verbotenen, wenn Sie sich als Frau ganz herzerfrischend unschicklich geben? Macht es Sie schlicht an, auf diese Weise Sexualität zu erleben?
Welches Bedürfnis auch immer Sie mit diesen Treffen stillen, welche Grenzen und Tabus Sie auch immer mit diesen Treffen einreißen: sie alle verdienen Respekt und sind ok.
Und dennoch beschreiben Sie einen inneren Konflikt und wünschen sich Erleichterung.
Worum geht es in diesem Konflikt? Mit welchen unerbetenen Gedanken und Gefühlen kommen Sie hier in Kontakt? Scham und Schuld? Angst vor Geschlechtskrankheiten und Gewalt?
Sie nutzen das Wort „dreckig“. Wer urteilt hier eigentlich so dreckig? Außer Ihnen natürlich… Wer sagt, dass es nicht in Ordnung sei, als Frau Sex mit fremden Männer zu haben? Wer saß noch mit am Tisch, als Sie mir diese Nachricht geschrieben haben? Ihre Eltern, die Gesellschaft, die kulturellen Normen und Rollenbilder, die Kirche, die Moral?
Ja, vielleicht wäre es tatsächlich gut, Sie würden diese Treffen nicht fortsetzen. Vielleicht tun Sie sich damit tatsächlich nicht gut und verdrecken Ihre Seele. Aber vielleicht könnten Sie diese Treffen auch fortsetzen und einfach aufhören, sich deswegen dreckig zu fühlen. Sondern stark, frei, lustvoll, durchtrieben, hingebungsvoll, abenteuerlich, neugierig, begehrt und geil.
In beiden Fällen mag ich Ihnen empfehlen, sich zu erforschen. Ihre ganz persönliche positive Absicht herauszufinden, die Sie für solche Treffen motiviert.
- Wenn Sie sich mit diesen Treffen selbst bestrafen, dann wäre es hilfreich, sich selbst zu verzeihen. Denn eine solche Selbst-Bestrafung macht keinen Sinn, selbst wenn die positive Absicht darin läge, durch Büßen ent-schuld-igt zu werden.
- Wenn Sie sich beim Sex gerne stark, frei, lustvoll, durchtrieben, hingebungsvoll, abenteuerlich, neugierig, begehrt und geil fühlen wollen, dann könnten Sie sich entscheiden, dazu zu stehen und diese Treffen so zu organisieren, dass die damit verbundenen Gefahren möglichst gering bleiben.
- Wenn Sie solchen Treffen wirklich entsagen wollen, werden Sie alternative Wege finden müssen, den Gewinn zu erlangen, den Sie aus diesen Treffen ziehen.
Noch ein anderer Gedanke: Unsere Vorstellungen von Sexualität sind vom romantischen Ideal wirklich mächtig versaut worden. Soll heißen: Guter Sex hat immer auch eine gefährliche, abgründige und dreckige Seite – ansonsten wär’s Disney, und wer will das schon? Gerade in der Sexualität können wir Aspekte Wirklichkeit werden lassen, die wir außerhalb dieser Sphäre niemals offenbaren würden. Im Sex dürfen wir alles genießen: Schmerz (zufügen und erleiden), Regression, Angst und Ohnmacht, Rollenwechsel, unmoralisch sein usw. usw. Gut so!
Und warum wir auf welche Spielarten stehen? Wer weiß das schon, aber das ist auch nicht wirklich wichtig. Wichtig ist, dass wir zu unserer Sexualität stehen, Wege finden, sie zu genießen und dabei niemandem gegen seinen Willen weh tun. Grübeln über das Warum dürfen wir getrost durch Planen des Wie ersetzen. Keine Frau muss sich für ihre Lust rechtfertigen.
Liebe Mia, ich hoffe, Sie finden in den Gedanken, die Ihre Frage in mir ausgelöst haben, einen Impuls, der Sie weiterbringt. Viel Spaß dabei!
Mit den besten Grüßen
PS. Eine Übersicht aller bisherigen Fragen und Antworten finden Sie hier