Gustav (50) fragt:
“Was mache ich mit einem Chef, der nur auf der Sachebene und Kontrollebene unterwegs ist und bei Feedback jegliche Mitverantwortung für entstandene Probleme ablehnt?”
Lieber Gustav,
danke für diese spannende Frage.
Man kann es nichts anders ausdrücken: Führungskräfte, die Verantwortung ablehnen, sind ein Graus. Sie demotivieren Ihre Mitarbeiter, treiben Krankenstand und Fluktuation in die Höhe, mindern Wachstum und Entwicklung.
Es scheint eine tragische Ausweglosigkeit darin zu liegen, dass in hierarchischen Organisationen am Ende immer wieder der Satz gilt: „In einer Hierarchie neigt jeder Beschäftigte dazu, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen.“ („Das Peter-Prinzip oder Die Hierarchie der Unfähigen“ von Laurence J. Peter und Raymond Hull).
Aber Sie haben mich ja nicht gefragt, warum das so ist, sondern was Sie hier machen können…
* * *
Mir scheint es leichter, das Pferd von hinten aufzuzäumen und zunächst zu schauen, was Sie keinesfalls machen sollten:
Eine Führungskraft, die Verantwortung ablehnt und sich auf der Beziehungsebene nicht oder nur rudimentär zu bewegen weiß, ist letzten Endes eine schwache Person mit wenig Selbstbewusstsein und gering ausgeprägtem Selbstwert. Das mag durchaus von polterndem oder schroffem Verhalten maskiert werden, so dass die Führungskraft vermeintlich stark erscheint, aber es ist keine echte Stärke.
Nun sitzt aber dieser Mensch auf einer Position, wo innere Selbstführung und souveränes Auftreten gefragt sind und zwar ungespielt. Echt. Kongruent.
Selbst wenn sich die Führungskraft nicht offen eingesteht, dass Sie dies noch nicht so gut kann wie Sie es sollte, wird sie den Konflikt spüren. Und vor allem die Gefahr, als nicht-genügend entlarvt zu werden.
Was macht ein Mensch, der sich in Gefahr wähnt und meint, sich schützen zu müssen? Er kämpft, flüchtet, erstarrt oder bricht zusammen. Was er nicht tut: Sich öffnen – für neue Sichtweisen, für eigenes Versagen, für ungeahnte Möglichkeiten, für andere Wege, für Erstmal-Innehalten-Und-Nachdenken.
Ein Mensch, der permanent überfordert ist, geht in den CRASH-Zustand:
- Contracted – zusammengezogen
- Reactive – reaktiv
- Analysis / paralysis – abgegrenzt / gelähmt
- Separated – getrennt
- Hurting / hating /hitting – verletzend / hassend / schlagend
Wenn Sie sich dies vor Augen führen, wird klar, warum es nichts nützt, Ihrem Chef Feedback zu geben. Womöglich noch vor dem gesamten Team. Oder im Beisein von dessen Führungskraft. Und dann auch noch mit Argumenten, deren Überlegenheit er spürt.
Um eigenes Fehlverhalten anzuerkennen, neue Wege zu wagen, Untergebene zu würdigen, Beziehungen zu stärken – für all das muss ein Chef in den COACH-Zustand gehen:
- Centered – zentriert
- Open – offen
- Aware – achtsam
- Connected – verbunden
- Holding – haltend
Was bedeutet nun dieses theoretische Modell von Robert Dilts und Stephen Gilligan für Ihren konkreten Fall, lieber Gustav?
Es gibt einen winzigen Strohhalm, mit dem Sie bei Ihrem Chef vielleicht doch noch punkten können: Sie müssen ihm helfen, sich in Ihrer Umgebung sicher zu fühlen.
Erst wenn er sich einigermaßen sicher fühlt – und Sie nicht als Bedrohung ansieht, weil Sie seine Unfähigkeit entlarven – erst dann besteht eine Chance, dass er sich auf Ihre Sichtweise einlässt.
Im praktischen Arbeitsalltag bedeutet das,…
- …dass Sie ihm Ihre besseren Argumente ausschließlich unter vier Augen präsentieren
- …dass Sie ihn niemals vor anderen kritisieren
- …dass Sie ihm die Möglichkeit geben, Sie zu unterstützen
Ja, Sie lesen richtig. Geben Sie Ihrem Chef die Chance, (Führungs-) Stärke zu beweisen, indem Sie ihm Gelegenheiten bieten, gute Entscheidungen zu treffen. Entscheidungen, die Sie zwar vorbereitet haben, die er aber als eigene interpretieren wird. Lassen Sie ihm die Lorbeeren, und zeigen Sie ihm Ihre Anerkennung.
Damit das Ganze kein zynisches Manipulieren wird, sind Sie nun Ihrerseits gefordert, innere Selbstführung zu beweisen:
Entscheiden Sie sich immer wieder aufs Neue, den Menschen im Chef zu sehen. Einen Menschen mit Stärken und Schwächen, mit Bedürfnissen und Grenzen. So wie Sie auch einer sind. Hüten Sie sich davor, ihn innerlich abzuwerten. Begegnen Sie ihm mit einer Haltung aus Interesse und Neugier. Wie ein Forscher, der eine seltene Spezies untersucht und neugierig ist, wie diese sich wohl gleich verhalten wird.
Ehrliches Interesse ist gefragt. Begegnung von Mensch zu Mensch. Selbstdisziplin im Umgang mit dem eigenen Ego, das viel lieber spotten und wüten würde.
Was für eine Zumutung, mögen Sie denken. Ist doch nicht mein Job, meinen Chef zu pampern! Ja, so können Sie denken – aber es wird Ihnen nichts nützen.
Ich kann Ihnen nicht garantieren, dass es Ihnen auf diesem Wege gelingen wird, dass Ihr Chef sich öffnet und künftig mehr Verantwortung übernimmt. Aber ich garantiere Ihnen, dass er es nicht tun wird, wenn er Sie als Gefahr für sich wertet.
Es ist immer wieder erstaunlich und berührend, zu welch positiven und überraschenden Kehrtwendungen wir Menschen fähig sind, wenn wir uns anständig behandelt fühlen. Wenn wir das Gefühl haben, mit unseren Schwächen als wertvoller Mensch gesehen zu werden. Wenn wir die Möglichkeit bekommen, echten Kontakt zu machen – von Herz zu Herz. Hart in der Sache und liebevoll zum Menschen.
Für dieses Abenteuer, lieber Gustav, wünsche ich Ihnen Geduld, Stärke und Humor.
Ihr
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