Sabine (47)
„Sie raten dazu, als Frau die Initiative zu übernehmen, wenn der Mann sich zurückhält. Das verstehe ich ehrlich gesagt nicht. Ich habe durchgängig schlechte Erfahrungen damit gemacht, als Frau initiativ zu sein. Ich denke rückblickend deshalb, weil der Mann dadurch nicht in seine männliche Polarität kommt und die Frau nicht in ihre weibliche. Warum also den ersten Schritt machen, wenn der Mann nicht auf mich zugeht, z.B. in puncto Sexualität? Ich denke, es sollte angesprochen werden. Nützt das nichts, hat sich der Mann entleibt. So einfach ist das.“
Puh… Das hört sich nach vielen, frustrierenden Erfahrungen an. Das tut mir leid!
Ja, viele Männer sehnen sich nach Frauen, die offen kommunizieren, dass und was sie wollen, wenn es um Sex geht – und wenn sie es dann erleben, sind sie ganz überfordert. Nicht immer einfach…
Dabei könnte ich es jetzt bewenden lassen, Ihnen zustimmen und sarkastisch alles Gute wünschen. Aber da ich an dieser Stelle weder Sarkasmus mag noch daran glaube, dass aufzugeben die beste Handlungsalternative wäre, möchte ich Ihnen, liebe Sabine, noch ein paar Gedanken anbieten – vielleicht finden Sie darin eine Inspiration für eine sexuell befriedigendere Zukunft.
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Sie sprechen den Begriff der Polarität an. Ein Modell, dass davon ausgeht, dass sexuelle Spannung nur dann entstehen kann, wenn es ein Spannungsverhältnis gibt; wenn sich im Verhältnis der beteiligten Sexualpartner eine Spannung aufbaut. Spannung aber kann sich nur zwischen Polen aufbauen, die genügend weit voneinander entfernt sind. Sind die Pole einander zu ähnlich, entsteht keine Spannung, sondern Harmonie. Dann kann man im Bett prima kuscheln oder fernsehen, aber leidenschaftlich, wüst und orgiastisch wird es nicht.
Wer welchen Pol einnimmt, ist zweitrangig; Pole haben kein Geschlecht. Hauptsache, einer agiert initiativ, aktiv, nehmend, fordernd, Grenzen überwindend, erobernd, überwältigend, forsch etc. – und der, die andere verhält sich hingebend, reaktiv, annehmend etc.
Aufgrund unserer Biologie und unserer Geschichte sind die meisten Männer initiierend und eindringend unterwegs und die meisten Frauen reagierend und aufnehmend.
Kein Problem, sollte man meinen. Das passt doch gut zusammen. Zum Problem wird es dann, wenn die Beteiligten nicht tun, was in diesem spannenden Spiel nötig wäre zu tun – zum Beispiel:
- Er bleibt passiv, weil er lieber oder auch mal gerne loslassen und sich hingeben würde, statt immer den aktiven Part zu übernehmen.
- Er hat Angst, übergriffig zu erscheinen, wenn er nimmt und überwältigt.
- Sie hat Angst, wirklich loszulassen und sich überwältigen zu lassen, weil sie denkt, dass sie dann eine Schlampe wäre.
- Er schaut zwar gerne Filme und Pornos, in denen Frauen sexuell in die Führung gehen; im realen Bett aber machen sie ihm Angst.
- Sie wird aktiv und ergreift die Initiative, weil moderne Frauen das ja jetzt so machen, aber eigentlich turnt es sie ab, weil sie halt nicht drauf steht.
Und so weiter und so fort…
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Was kann ein Paar tun, damit sich im Sex eine Spannung aufbaut, die nichts lieber will, als sich in Höhepunkten zu entladen? – Dreierlei:
- Sich selbst erforschen
- Reden
- Entscheiden
Also:
- Wie ticke ich sexuell? Kenne ich mich da wirklich? Ist das immer eindeutig, oder wechsle ich gerne auch mal den Pol? Gibt es mentale Beschränkungen, in den Pol zu gehen, den ich geil finde? Moralvorstellungen, Rollenbilder, Feigheit und Faulheit? Kenne ich meinen Körper und weiß ich, wie ich in den jeweiligen Pol einsteigen kann?
- Weiß der Mensch, mit dem ich gleich Sex haben will, wie ich ticke? Weiß ich, wie er, sie, tickt? Gibt es Vorbehalte, über so etwas offen zu sprechen? Ist es mir peinlich? Erwarte ich, dass meine Gedanken gelesen werden? Wissen beide, wie genau der jeweils andere Pol beim Andern am besten geweckt werden kann und welche Grenzen es gibt? Haben beide ein Warnsystem installiert, dass sicherstellt, dass aus Überwältigung keine Vergewaltigung wird? Hat der passive Pol im Blick, Rückmeldung zu geben, statt schweigend den Andern im Ungewissen zu lassen?
- Gibt es eine klare Verständigung darüber, wer welchen Pol einnehmen wird? Hoffen beide, dass es sich schon passend fügen wird, auch ohne dass es zur Sprache kommt?
Viele Möglichkeiten, die sexuelle Kultur zu verfeinern.
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Aber eine Sache gibt es da noch, und ich befürchte, liebe Sabine, dass Sie genau damit zu tun haben.
In den letzten fünfzig Jahren haben wir Männer gelernt, sensibel den Müll runterzutragen und einfühlsam zu fragen, was Frauen denn gerne wollen. Das ist ein Fortschritt, der aber leider auch eine Schattenseite hat.
Viele Männer haben in dem ehrlichen Wunsch, ihren Frauen freundlich und nicht als Macho zu begegnen, verlernt bzw. erst gar nicht erlernt, wie man als Mann in den aktiven Pol geht. Sie finden nur noch schwer in ihre phallische Energie. Ihnen fällt es schwer, mit dem Archetyp des Kriegers in Kontakt zu gehen.
In der Folge erscheinen diese Männer irgendwie schluffig, nett, harmlos, langweilig – was ihre Frauen frustriert und sie selbst natürlich auch. Sie wollten doch alles richtig machen, wollten anständige Kerle sein und keine Arschlöcher, und plötzlich ist das auch nicht richtig. Plötzlich finden sie sich in der Schublade des Lieben Jungen, des Nice Guy, des Frauenverstehers wieder, und in dieser Schublade gibt es zwar gute Gespräche, aber keinen guten Sex!
Hier braucht es Bildung. Sexuelle, spirituelle, intellektuelle Bildung. Im Kreis der Männer oder in Tantraseminaren. Erfahrene männliche Lehrer müssen suchende Männer darin unterrichten, wie sie anständige Kerle bleiben und selbstbewusst-nehmende Kerle werden können. Beides zugleich. Männer dürfen lernen, sich ihrer Männlichkeit so bewusst zu werden, dass sie vor Frauen keine Angst (mehr) haben; auch dann nicht, wenn diese sexuell initiativ und aktiv auftreten.
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Wir hatten jetzt 10.000 Jahre lang patriarchale Strukturen, in denen immer klar war, wie das läuft zwischen den Männern und den Frauen. Diese Klarheit wird seit einigen Jahrzehnten und jüngst immer schneller und wuchtiger dekonstruiert. Unklarheit entsteht und mit ihr Unsicherheit und Unwillen.
Manche Männer wollen den Umbruch schaffen, wissen aber noch nicht, wie. Und manche Männer lehnen die Weiterentwicklung ab. Zeiten des Umbruchs, in denen Frauen nicht selten Männern voraus sind. Ist leider so.
Wenn Sie, liebe Sabine, auf unwissende Männer treffen, ist grundsätzlich (noch) vieles möglich. Wenn Sie auf unwillige Männer treffen, rate ich Ihnen, so schnell wie möglich weiterzuziehen.
Es ist schon schwer genug, uns selbst zu ändern; andere zu ändern ist unmöglich. Daher empfehle ich, die Energie lieber darauf zu verwenden, Orte zu suchen, wo Männer sein könnten, die sich mit sich selbst, mit Polarität, mit Sexualität, mit Rollenbildern auseinandersetzen und sexuell initiativen Frauen offen gegenüberstehen.
Stichworte für die Suche nach solchen Orten: Tantra, Tantramassage, außerdem sogenannte sexpositive Räume, Partys und Seminare. Sie könnten gezielt nach Männern Ausschau halten, die Männerkreise besuchen oder eine Heldenreise absolviert haben, denn dort werden Sie überproportional viele Männer finden, die sich hiermit auseinandersetzen.
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Zu guter Letzt darf ich als Coach natürlich nicht versäumen, vorsichtig darauf hinzuweisen, dass es auch in Ihnen, liebe Sabine, einen Anteil geben könnte, Männer anzuziehen, die Sie enttäuschen. Das muss nicht so sein. Aber wenn es so wäre, wäre es bestimmt hilfreich, zunächst an dieser Schraube zu drehen.
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Ich hoffe, dass Sie in meinen Ausführungen etwas finden, das Ihnen etwas Hoffnung gibt, endlich den Sex zu bekommen, den Sie sich wünschen. Auf diesem Weg wünsche ich Ihnen alles Gute, Freude, Mut, Beharrlichkeit und jede Menge lustvoller Überraschungen.
PS. Allen Fragen und Antworten finden Sie wie immer hier