Dagmar B. (54)
Guten Tag Herr Berenfänger,
(…) ich würde schon gerne wissen, warum ich nie weiß, was ich will, oder was mir richtig Spaß macht. Und die Aussicht, dass die Antwort dafür eigentlich in mir ist, ich aber nur nicht drankomme, fuchst mich ein bisschen.
Mit 54 sollte man vermutlich souverän auf seinem Lebensweg unterwegs sein, wissen, was man will. Täglich die große Dankbarkeit für das Sein spüren.
Die Sache mit der Berufung/Sinn des Lebens… Habe ich für mich beantwortet. Da wo ich kann, helfe ich… Sei es bei liegengebliebenen Fahrzeugen am Straßenrand, Freunde, die spontan Hilfe brauchen, Fremde, wo ich ohne Aufwand helfen kann… Das ist vermutlich meine Berufung. Klar würde man gerne mehr tun. Doch durch diverse Einschränkungen ist da nicht viel Spielraum. (…)
Liebe Dagmar,
wenn ich Sie richtig verstehe, wissen Sie noch nicht, was Sie wollen und wissen außerdem nicht, warum Sie das nicht wissen. Sie ärgern sich über sich selbst und legen noch ein paar Selbstvorwürfe obendrauf. Und wenn dann noch Kraft da ist – kümmern Sie sich um andere.
Es scheint mir, dass Ihre Berufung ein dringendes Sicherheits-Update braucht!
Bisher richten Sie Ihr Handeln weitgehend darauf aus, sich möglichst weit von Ihrem eigenen Wohlbefinden weg zu bewegen. Das ist zwar schön für die Anderen und für den kleinen Teufel auf Ihrer Schulter, der Sie gerne leiden sieht – das ist aber nicht schön für Sie!
Das ist aber wichtig, liebe Dagmar: Bevor wir anderen Menschen helfen, müssen wir erst dafür sorgen, dass unsere wichtigsten Bedürfnisse erfüllt sind. Ansonsten schöpfen wir beim Helfen aus dem Leeren. Wir er-schöpfen uns im wahrsten Sinne des Wortes. Das hilft auf Dauer niemandem, auch nicht den Anderen, und die Welt macht es auch nicht besser, denn wir sind ja auch Teil der Welt.
Außerdem: Es mag interessant sein zu wissen, warum wir tun, was wir tun. Aber letzten Ende ist das WARUM völlig egal. Sie könnten in einer Psychotherapie 50 Stunden damit verbringen zu analysieren, warum Sie ticken wie Sie ticken. Das würde aber nichts daran ändern, wie Sie sich in der Zukunft verhalten.
Erkenntnis ist nett, aber auf das Handeln kommt es an!
Sie haben mich um Rat gebeten. Deshalb gebe ich Ihnen nun einen Rat. Achten Sie darauf, wenn Sie wieder anfangen zu grübeln (warum weiß ich nicht, was ich will… warum weiß ich nicht, warum ich das nicht weiß… warum bin ich nicht souveräner… warum bin ich nicht dankbarer… usw.) – und dann sagen Sie laut „Stopp! Ich bin Dagmar B., und ich bin in Ordnung.“ Geben Sie der Stimme, die da an Ihnen herumnörgelt, einen Namen und sagen Sie „Geh weg, XY! Ich brauche Dich nicht länger. Ab jetzt kümmere ich mich selbst um mich.“ Bitte rechnen Sie aus, wieviel Zeit am Tag Sie damit verbringen, anderen zu helfen oder über das Wohlbefinden und die Probleme anderer Menschen nachzudenken. Verdoppeln Sie diese Zeitmenge und gehen Sie jeden Tag genauso lange an der frischen Luft spazieren (wenn möglich unter Bäumen oder an einem Fluss oder See).
Befolgen Sie meine Ratschläge 3 Monate konsequent, und verzichten Sie während dieser Zeit darauf, anderen zu helfen. Füllen Sie handelnd – nicht grübelnd! – Ihre Speicher auf, und üben Sie eine Gewohnheit ein, die Sie darin unterstützt, ein zufriedeneres Leben zu führen.
Erkenntnis allein macht weder zufrieden noch weise. Handeln macht den Unterschied.
Dabei wünsche ich Ihnen viel Erfolg und vor allem viel Spaß!
PS. Allen Fragen und Antworten finden Sie wie immer hier