Plötzlich ist es da. Wie ein Pfeil bohrt es sich in die Stirn des Klienten. Stoppt ihn. Sein Rücken biegt sich ins Hohlkreuz. Schmerz, Frust, Angst. Es tut weh, das zu sehen. Mitanzusehen, wie schwer sich die Frau tut, ihren Weg weiterzugehen. Ihren Weg in eine Zukunft, die ihr so viel lebenswerter scheint. Plötzlich ist es da. Das „Hindernis“. Es hat keine Gestalt, keinen Geruch, ist nicht zu greifen. Aber es ist unzweifelhaft da und hat den Klienten fest im Griff.
Und dann ist er plötzlich da. Wie ein strahlender Himmel, der sich nach einem langen Gewitter endlich öffnet. Es hört auf zu regnen, Sonnenstrahlen wärmen Körper und Seele. Ein neuer Weg wird sichtbar. Wo vorher nur dunkle Wand war. Diese Momente zu erleben, zu ermöglichen, zu teilen, ist wundervoll.
Von Mai 2016 bis Januar 2017 habe ich bei Robert Dilts und Stephen Gilligan eine Ausbildung in „Generative Coaching“ gemacht. Hier mein Erfahrungsbericht.
Menschen kommen ins Coaching, weil sie nicht mehr anders können als kämpfen, flüchten, erstarren oder zusammenbrechen. CRASH nennen Robert Dilts und Stephen Gilligan diesen Zustand: contracted, reactive, analysis paralysis, separated, hurting/hating/hitting. Und machen klar: CRASH ist normal. Viele hundert Mal am Tag. Und dass es nicht darum geht, das nie mehr zu erleben.
Das Ziel ist ein anderes: immer öfter und immer schneller überhaupt zu erkennen, dass man in diesen Zustand geraten ist – und dann den anderen Zustand zu wählen. Den COACH: centered, open, aware, connected, holding. Die innere Ausrichtung, die neue, kreative Lösungen überhaupt erst möglich macht.
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„Generative Coaching“ ist eine Form von Beratung, die dem Klienten einen Raum öffnet, in dem er zuvor noch nie gewesen ist. Einen Raum der Möglichkeiten. Einen Raum bisher ungedachter Handlungsalternativen.
Die Quantenphysiker lehren uns gerade, dass Realität durch die Art und Weise entsteht, wie wir auf sie schauen. Erst die Ausrichtung unseres Fokus lässt die Realität real werden – bis dahin ist alles reine Potenzialität. Alles könnte. Dies und auch das andere. Oder beides. Und auch das nicht. Die Wirklichkeit als Tetralemma sozusagen.
Wer einen Coach aufsucht (oder einen Berater, einen Therapeuten, einen Trainer…), der weiß alleine nicht mehr weiter und hofft auf die größere Erfahrung seines professionellen Gesprächspartners. Das ist hilfreich – und trägt seine Grenzen doch bereits in sich. Denn Erfahrung bezieht sich auf Vergangenheit. Sie liefert Erfahrungswerte und ist doch immun gegen Lösungen, die bisher noch niemand erfahren hat.
„Generativ“ meint: erzeugend, hervorbringend, ein Ergebnis schaffend, das bis dahin nicht existierte (C. Otto Scharmer lehrt dies aktuell zum Beispiel in seiner Theory U, und Gerald Hüther wirbt für ein Schule, die Schülern den Zugang zu ihrer Potenzialität nicht länger kaputt macht…).
Jeder Coach kennt diesen Drahtseilakt: dem Klienten die eigene Erfahrung anzubieten, kluge Impulse und wertvolle Hinweise – ohne ihm genau dadurch den Blick zu verengen für die Richtung, in die dieser selber gehen möchte/könnte/sollte. Auch der Coach richtet ja seinen Blick auf das unendliche Meer der Potenzialität und wählt eben dadurch eine bestimmte Welle, zu der er seinen Klienten lenkt.
Im generativen Coaching geht es daher darum, so zu coachen, dass sich der Klient aus seiner momentanen Verengung befreien kann. Sich ausdehnen kann von dem kleinen Wellenkamm hinein in das weite, offene Meer. Um dort eine Welle, eine Insel, ein Schiff zu entdecken, die viel besser geeignet sind als seine bisherigen Versuche, die Absicht zu verwirklichen.
In den Monaten der Ausbildung, in den vielen Momenten des Übens und Ausprobierens war es immer wieder erstaunlich und berührend, wenn ein Klient sichtbar und spürbar in Kontakt mit einer Möglichkeit ging, die er bis dahin nicht einmal zu ahnen gewagt hatte. Und die man von außen – bei aller Erfahrung und Expertise – nie gesehen hätte.
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Robert Dilts und Stephen Gilligan postulieren, dass im kreativen Bewusstsein des Klienten bereits alles da ist. Wir alle sind in ständigem Kontakt mit der reinen Potenzialität, mit dem Quanten-Feld (mehr zum Thema „Feld“ auch hier). Wir verlieren diesen Kontakt nie – wir vergessen nur oft, ihn zu pflegen. Oder wie Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibéd sagen: „Es könnte doch sein, dass wir an sich miteinander verbunden sind und es eher darum geht, diese Verbindung nicht zu stören, sondern sie zu fördern, indem wir gute Bedingungen dafür schaffen, dass sie ungestört wirken kann.“
Im generativen Coaching ermuntert der Coach den Klienten, sich (wieder) mit sich selbst zu verbinden. In einen guten Kontakt mit sich selbst zu gehen. Sich seiner selbst gewahr zu werden. Das hat nichts mit Eso-Gedöns zu tun! Bevor ein Orchester den Zauber der Ouvertüre erklingen lassen kann, müssen alle Beteiligten ihre Instrumente stimmen. Sonst können Wohlklang, Zauber und Magie gar nicht erst entstehen. Die rein mechanische Beherrschung von Geige, Flügel und Posaune nützen da gar nichts.
Und so beginnt auch jedes generative Coaching damit, dass sich alle Beteiligten einstimmen. In den COACH-Zustand gehen, wie Dilts und Gilligan es nennen. Immer wieder aufs Neue. Jedes Mal.
COACH ist fragil. Die kleinste Störung reicht, um wieder zu CRASHen. Beharrlichkeit und Übung werden zu unseren ständigen Begleitern in dieser Ausbildung. Und die beiden sagen es klar und unmissverständlich: Daily Practise ist die Minimal-Voraussetzung für einen Coach, der auf diese Weise arbeiten will. Nur wer bereit ist, jeden Tag mehrmals in die Stille zu gehen, sich zu zentrieren, sich leer zu machen, sich auszudehnen, sich zu spüren – der kann auch andere dabei unterstützen, diesen Weg zu gehen.
Generatives Coaching ist so auch eher eine Haltung als eine Technik. „Die kreative Arbeit fängt an, wenn die Technik scheitert“, lehrt man uns. Bei all den vielen ausgefuchsten Methoden, die ich bei Robert und Stephen natürlich auch gelernt habe, ist es das, was mich an diesen beiden Menschen im Kern begeistert und berührt: ihre Haltung, mit der sie einen im Coaching begleiten.
Robert Dilts bin ich zum ersten Mal im Herbst 2015 in einem Workshop in Tübingen begegnet. Für eine Demo kam ich nach vorne. Und obwohl wir uns bis dahin nicht kannten und obwohl wir in zwei verschiedenen Sprachen zu Hause waren, hatte ich von jetzt auf gleich das Gefühl, zutiefst gesehen zu werden. In zwei Augen zu schauen, die voller Liebe, Interesse und Wachheit auf mich sehen. Diese Demo gehörte zu den berührendsten Coachings, die ich als Klient erlebt hatte. – An dieser Stelle ist es mir wichtig zu betonen, das Dilts und Gilligan jegliche Guru-Attitüde abgeht. Sie manipulieren nicht, sind unprätentiös und erwecken in keiner Sekunde das Gefühl, über einem zu stehen. Haltung eben.
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Robert Dilts und Stephen Gilligan haben ihrem generativen Coaching eine klare Form von sechs aufeinander folgenden Schritten gegeben. Am Anfang steht, wie erwähnt, das Gehen in den COACH-Zustand, das auf vielerlei Weise möglich ist und zuallererst so geschieht, wie der Klient selbst es macht.
Danach benennt der Klient seine Intention. Die Richtung, die er in diesem Coaching verfolgen will. Sein Ziel. Seine Absicht. Damit dies so klar und kraftvoll wie möglich wird, ermuntert der Coach den Klienten, dafür nicht mehr als fünf Worte zu verwenden und diese mit einem inneren Bild und einer äußeren Geste zu versehen. Dieser Dreiklang – Worte, Visualisierung, somatischer Ausdruck – begleiten auch alle weiteren Schritte, und es gehört zu den eindrücklichsten Erfahrungen dieser Ausbildung, welche Türen ein Klient öffnen kann, wenn er die sprachliche Arbeit im Coaching durch körperlichen Ausdruck ergänzt.
Im dritten Schritt wird der generative Zustand, der im ersten Schritt begann, weiter vertieft. Die Zentrierung wird gesteigert, Ressourcen hinzugefügt, das Ziel vertieft. Jetzt ist der Klient vorbereitet, ins Handeln zu gehen.
Der vierte Schritt ist der Raum der Methoden. Hier geht es darum, wie sich der Klient seiner Intention nähert. Dafür lernen wir eine Fülle hilfreicher Techniken, und es ist eine Freude, aus dem Erfahrungsreichtum dieser beiden Typen aus Kalifornien zu schöpfen. Stephen als Meister der Trance und Robert als Urgestein des NLP – jeder für sich und beide zusammen sind ein Erlebnis. (Sie sehen, ich bin begeistert…) Zentrales Werkzeug ist hier die Timeline, die wir auf mannigfache Weise einsetzen und erforschen. Ebenfalls immer im Blick: die Logischen Ebenen von Robert (Umfeld, Verhalten, Fähigkeiten, Beliefs, Identität, Sinn).
Sobald der Klient ins Handeln kommt – und oft auch schon viel früher – tauchen sie dann auf: die Hindernisse, die Dämonen. Angst bricht sich Bahn, Frust und Unlust und natürlich alle fünf inneren Antreiber („Sei stark!“, „Sei perfekt!“, „Mach es allen recht!“, „Beeil dich!“, „Streng dich an!“). Jeder von uns kennt sie zur Genüge… Wir lernen viele kreative Möglichkeiten kennen, unseren Klienten den Umgang mit ihren Widerständen zu erleichtern. Dabei – wie auch in allen anderen Schritten – begleiten uns Phrasen und Mantren, die von außen manchmal skurril wirken – und im Innern des Prozesses eine überraschende Kraft und Zuversicht entfachen.
Wenn der Klient die Hindernisse überwunden hat, folgt der sechste, letzte Schritt. Dann geht es darum, dass sich der Klient auf praktische Verhaltensweisen verpflichtet, die ihn unterstützen, die neuen Erfahrungen in den Alltag zu transportieren und dort zu verankern. Hausaufgaben, Meditation, Training, Feedback, Mentorensuche und vieles mehr stehen zur Verfügung – und unsere Lehrer sagen es klar und deutlich: ein Klient, der nicht bereit ist, sich nach dem Coaching einer Daily Practise zu unterziehen, braucht erst gar nicht zu ihnen ins Coaching zu kommen, denn: „Etwas zu wissen heißt noch nicht, dass man es kann. Es reicht nicht zu wissen, wie man sich die Zähne putzt – man muss sie auch putzen. Neues muss geübt werden.“
Sechs Schritte, klug und weise. Und jederzeit veränderbar, aber: First you learn the rules, and then you break them, lehrte mich mal meine NLP-Lehrerin…
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Im generativen Coaching geht es mehr um Kreativität als um Effizienz. Oft kennen wir das Ziel noch nicht, und vielleicht ist bisher auch noch nie jemand dort gewesen… Es gibt so viel, was jetzt noch nicht existiert. Es dreht sich alles um die Frage: Wie schaffen wir das? Wie finden wir das?
Hier haben wir Zugang zu anderen Ressourcen (Feld) als bisher. Wir können Ressourcen channeln. Ideen kommen nicht aus mir sondern zu mir. Wir sind ein Holon und zugleich Teil von Holons. Wir sind Teil des Ganzen und repräsentieren in uns bereits das Ganze.
Wir versuchen Hindernisse nicht zu vermeiden sondern begrüßen sie und wandeln sie um.
Präsenz hilft uns, unsere Geschichte zu heilen, unsere Dämonen zu transformieren, unsere Zukunft zu erschaffen. Präsenz ist unsere größte Ressource. Vom COACH-Zustand kann ich überall hingehen.
Im generativen Coaching gibt es weder gute noch schlechte Gefühle. Sie sind was sie sind. Stattdessen geht es um unsere Beziehung zu ihnen. Im generativen Zustand können Gegensätze gehalten werden (Inner Game): Selbstvertrauen ohne Arroganz, entspannt und bereit, fokussiert und weit. Erst der CRASH-Zustand macht Gefühle zum Problem. Und auch CRASH selbst ist kein Problem sondern Alltag.
Es geht um die Frage, wie ich mich mit einer Vision verbinden kann, die größer ist als ich. Um meine tiefste Leidenschaft als meinen kraftvollsten Antrieb. Um meine persönliche Lebensmission, die Rolle, die ich in diesem Leben einnehmen will und meine Ambitionen. Es geht um Seele und Ego. Wie haben beides, wir sind beides.
Entscheidend ist, wie wir die Filter justieren, mit denen wir auf die Welt blicken. Habe ich Schmerz, oder bekomme ich lediglich Feedback von meinem Körper? Bin ich halt so, oder habe ich mich bisher in einer spezifischen Weise verhalten? Baue ich also Identitäten und Zuschreibungen, die mich einengen und in meiner momentanen Begrenztheit fixieren? Oder bringe ich mich wieder in den Fluss zurück?
Die Welt präsentiert sich uns gerade als ein wahnsinniger Strudel von Abgrenzung, Ausgrenzung, Einengung, Reaktion, Lähmung, Verletzung, Hass und Angst. Aber was wir auf politischer und gesellschaftlicher Ebene kennen, das tobt ja auch in uns. In jedem von uns. Das ist die gute Nachricht: niemand kann uns daran hindern, uns wieder mehr der Liebe zu öffnen. Uns zu zentrieren, unsere eigene Offenheit zu kultivieren, achtsam zu leben, uns nach oben zu verbinden und nach unten zu verwurzeln. Das Leben in seiner ganzen Ambivalenz zu halten. Immer wieder glücklich zu leben.
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PS. Generative Ermunterung: Es ist möglich, du verdienst es, du kannst es, du bist es wert. Für dich selbst, in deinen persönlichen Beziehungen, bei deiner Arbeit. Sei entschlossen, sanft und spielerisch. Dehne dich aus, wenn andere eng werden, binde ein, wenn andere ausgrenzen. Frage dich, was für dich eine so tiefe emotionale Bedeutung hat, dass du es wirklich willst. Und dann kümmere dich darum, dass du bekommst, was du wirklich brauchst. Zu deinem Wohl – und zum Wohle aller.
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